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Lieber tot als vergessen

Lieber tot als vergessen

Titel: Lieber tot als vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denise Danks
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sich nimmt — heute oder morgen... das hatte Carla gefallen. Wie hieß es noch? Sie hatte immer auf der Schreibtischkante gesessen und Gedichte vorgelesen, in langen braunen Strümpfen und einem dicken blauen Faltenrock. Ich sah das Buch vor mir, eine Anthologie mit abstrakten rosa und schwarzen Rechtecken auf dem Cover, aber ich hörte ihre Stimme nicht. Ob sie mich jetzt beobachtete, kopfschüttelnd auf mich herunterschaute? Ich stellte beide Füße behutsam auf den dunkelblauen Teppich und stand auf. Zwei, drei, vier. Nicht schlecht. Gar nicht schlecht. O nein! Das Telefon. Ich bringe ihn um, egal, wer es ist. Ich bringe sie alle um! Ich gehe nicht ran. Ich gehe in die Küche. Ich kann das Getriller nicht aushalten.
    »Ja?« Ich umklammerte den Hörer und lehnte mich an den Tisch.
    »Georgina? Hallo, ich bin’s.« Keith klang eilig und geschäftsmäßig.
    »Was ist?«
    »Sie haben mich rausgeschmissen.«
    Schweigen.
    »Okay, okay, ich weiß, du bist sauer auf mich, aber jetzt hör’ mir weiter zu. Sie haben mich wegen der Ghea-Story rausgeschmissen.«
    »Das kommt wahrscheinlich daher, mein lieber Keith, daß eine dicke fette Klageschrift auf dem Schreibtisch des Chefredakteurs lag, und zwar wenige Minuten, nachdem die Zeitung erschienen war. Ich fühle mich im Moment nicht besonders wohl, und deswegen werde ich jetzt sehr, sehr leise auflegen und mir einen Tee machen. Ruf mich nicht wieder an.«
    Ich schaute mich im Zimmer um. Ein paar Fenster aufmachen. Ein bißchen Luft hereinlassen. Dann ein bißchen aufräumen. Aber hier passiert nichts, bevor ich meinen Tee gekriegt habe. Nein, es ging gar nicht so schlecht.
    Cheryl LeMat. Sie fiel mir beim Spülen ein. Keine Teetassen mehr. Sie hatten mich alle angerufen. St. John, Tony Levi, Dexter, Keith. Ich fragte mich, was sie wohl zu alldem zu sagen hatte. Vielleicht sollte ich mit ihr sprechen. Aber würde sie mit mir sprechen? Der Seifenschaum waberte in der Spüle. Er sang: Oh tauche deine Hand ins Wasser, daß sie davon umfangen ist; frag dich, da du schaust ins Wasser, was dir wohl entgangen ist. Was war das? Wie fing es doch gleich wieder an?
    Die feuchten Augen, tief wie ein Strudel. Rauschgift. Der Zusammenhang war Rauschgift. Tommy war den Tod eines Informanten gestorben, eines Informanten in der Drogenbranche. Er hatte Rauschgift verkauft, und sie sah aus, als ob sie welches nähme. Sie ließ sich gern fesseln, und er machte gern Fotos. Wenn es nun jemand herausgefunden hatte? Jemand, der Cheryl LeMat liebte? Dexter? Liebte er Cheryl LeMat wirklich so, wie er Johnny Waits geliebt hatte? Wie er Carla geliebt hatte? Dexter. Dexter. Dexter. Tee. Tee. Tee.
    Ich ließ den Kessel zum zweitenmal vollaufen, als jemand an der Tür läutete. Ich ignorierte es, bis der Jemand sich gegen den Klingelknopf lehnte. Auf Zehenspitzen schlich ich zur Tür und spähte durch den Spion. Keith. Ich ging in die Küche zurück, schaltete die Platte unter dem Kessel ein und kippte den alten Tee in die Spüle. Keith fing an zu brüllen.
    »Geh weg«, sagte ich durch die Tür.
    »Laß mich rein — nur für einen Moment!«
    »Geh weg!«
    »Georgina, mach die gottverdammte Tür auf!«
    Ich legte die Kette vor — ich war am Abend zuvor zu sehr abgelenkt gewesen, um richtig abzuschließen — und schob dann den Riegel auf. »Ich weiß nicht, wie es in deiner Gegend ist, aber hier steht man nicht auf diese Gossensprache«, sagte ich durch den Türspalt.
    Keiths blasses Gesicht war gerötet, und er richtete den Blick zur Decke, als wohnte dort ein barmherziger Gott zwischen den Stockflecken. Sein Kragen war offen, seine Krawatte schief. Ich wollte ihn fragen, wieso er sich noch die Mühe mit dem Anzug gemacht hatte, wo er doch den Tag jetzt nicht mehr als Mr. City begann. »Ach ja? Komm schon, Herrgott noch mal!«
    »Hast du Zigaretten dabei?«
    Er klopfte nach dem alten Ritual seine Taschen ab und hielt dann eine Packung Benson & Hedges hoch wie einen Busfahrschein. Ich hakte die Kette aber erst los, nachdem er mir gezeigt hatte, daß noch mindestens fünfzehn Stück in der Schachtel waren.
    »Willkommen in meinem Alptraum«, sagte ich, als er in den Abgrund von Müll trat, der mein Wohnzimmer war.
    »Hab’ ich die Party verpaßt, oder was? George, niemand könnte dir vorwerfen, daß du an der Hausarbeitsfront die Sache des Feminismus verrätst.«
    Ohne auf ihn zu achten, ging ich in die Küche. Er kam mir nach und hing an einem langen Arm am Türrahmen, während ich mir Tee eingoß.

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