Lieber tot als vergessen
Stammkneipe, ja?«
»Manchmal. Waren Sie denn so gut?«
»Nicht gut genug.«
Mir war unbehaglich. Er mußte sich fragen, weshalb ich mich für dieses Lokal entschieden hatte, das sich in eine Würfelwüste aus Industrieanlagen und Sozialwohnblocks schmiegte, wo ich ihn ebenso diskret im Salmon and Ball hätte treffen können. Aber er fragte mich nicht. Er beugte sich nur vor und nahm einen Schluck Bier aus seinem übervollen Glas. Dann wischte er sich den Schaum von den dunklen Lippen und fragte: »Na, wie war’s heute bei Ihnen?« Ich erzählte, daß ich den größten Teil des Tages verschlafen hatte. »Waren Sie gestern abend unterwegs?«
»Komisch, daß Sie fragen«, sagte ich. »Ja, war ich, und ich habe ein paar hochinteressante Informationen aufgelesen.«
Er lehnte sich in dem rotgepolsterten, wie ein halbiertes Faß geformten Vinylsessel zurück, legte den Knöchel eines schlanken, eleganten Beins auf das Knie des anderen und nagte kurz an seinem sauberen, manikürten Daumen. Iclujdachte an St. John und seine Daumenkauerei. Bei Tony sah es stilvoll aus. Zwei Gäste an der Theke fingen an zu singen, sie wünschten, es wäre jeden Tag Weihnachten; dann hatten sie den Text vergessen und vollbrachten mit La-La eine Art Finale. Arthur lachte.
»Ich glaube nicht, daß Dexter Ihr Mann ist. Vielleicht ist er meiner, aber Ihrer ist er nicht. Er hat Tommy nicht ermordet«, sagte ich.
»Aber Sie glauben immer noch, daß er Carla ermordet hat, ja? Hat Cheryl Ihnen noch mehr gesagt?«
Ich begann unter den Armen zu schwitzen, und mir war so warm, daß ich mein eigenes Parfüm riechen konnte. Ich streifte die Jacke ab und suchte in meiner Tasche nach einer Zigarette. Er hatte nicht mal vor, den Schein zu wahren.
»Sie hat uns gesagt, es war nicht Dexter, der die Sachen wiederhaben wollte. Sie hatte ziemliche Angst. Sie weiß, wer Tommys Mörder ist, das steht fest, aber Dexter ist es nicht.«
»Wer dann?«
»St. John. John St. John. Carlas Manager.«
Tony schnippte gegen den lästigen eingerissenen Daumennagel und drehte sich zu Arthur um, der mit zwei Gläsern zu uns herüberkam. Die beiden Sänger hatten Tony erkannt und schickten uns ihren Tribut. Ich wünschte mir, ich hätte einen anderen Schauplatz für unseren Showdown ausgesucht. Arthur nickte mir kurz zu und plauderte eine Zeitlang mit Tony über bevorstehende Ereignisse im Rathaus und über ein Mittelgewicht-Turnier, das in Wembley stattfinden sollte. Tony lächelte und nickte. Er war fast charmant.
Als Arthur davongeschlurft war, fing ich noch einmal von vorn an. »Sie waren da, Tony, nicht wahr? Was haben Sie gesehen?« Ich nahm eine Zigarette aus einer frischen Packung. Mein häßlicher Tonfall störte ihn überhaupt nicht; er gab keine Antwort. »Wohin haben Sie sie gebracht?«
Er schob mir einen großen Glasaschenbecher herüber und nahm einen Bierdeckel, legte ihn auf die Tischkante, schnippte ihn hoch und fing ihn geschickt wieder auf. Er wiederholte den Trick, während er sprach. »Ich habe Cheryl nirgendwohin gebracht. Ein Typ hat sie abgeholt. Und es war nicht ihr Mann... den hab ich schon gesehen. Es war eindeutig der Kerl auf den Fotos; ich habe ihn wiedererkannt. War nicht leicht, in Anbetracht des Lichts, der schiefen Perspektiven und der Tatsache, daß er da ’n nackten Arsch hatte. Ein ziemlicher Gorilla. Hat ihr ’n paar Kopfnüsse verpaßt und ihr dann die Zunge in den Hals geschoben. Wahre Liebe und so weiter.«
»Oh, bezaubernd.«
»Yeah. Erstaunlich, was euch Mädels gefällt, nicht?«
Ich schaute ihn durchdringend an. »Oh ja. Erstaunlich auch, was uns nicht gefällt und was wir trotzdem kriegen.«
Er schüttelte die gespreizte Hand, als habe er sich verbrannt. Er lachte mich aus.
»Und wo war Keith während der ganzen Zeit?« fragte ich.
Tony fing an, mit Daumen und Zeigefinger an seinem Hosenbein auf und ab zu fahren. In seinen leblosen Augen glitzerten die tanzenden Flammen von Arthurs echtem Holzfeuer. »Der lag ungefähr fünf Meter weiter die Straße runter, in der Gosse.«
Der Dobermann saß am Feuer und schaute hin und wieder mit dem Ausdruck ungezügelter Zuneigung zu Tony herüber. Was war bloß mit diesen Tieren? Meine Mutter hatte immer gesagt, wenn Tiere, vor allem Hunde, jemanden mögen, dann kannst du es auch tun, und umgekehrt. Mein Hund Timmy hatte jeden Schurken erkannt, im Gegensatz zu seinem Frauchen. Aber jetzt, da ich älter war, wollte ich eine praktischere Form von sozialem Lackmuspapier haben.
Weitere Kostenlose Bücher