Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
denen wir früher auch nie etwas zu tun gehabt hatten. Eine ganze Weile lang ging das so. Es gab immer wieder eine Krankheit des Jahres mit einem eigenen Namen. Vielleicht machen diese Krankheiten immer noch die Runde, aber niemand achtet mehr besonders darauf. Es kann auch sein, dass Leute in meinem Alter darüber hinaus sind, auf so was zu achten. Man kann sicher sein, dass man nicht von irgendwas Dramatischem dahingerafft wird, sonst wäre es längst passiert.
Eines Abends stand ich am Ende einer Fernsehsendung auf, um uns eine Tasse Tee zu machen, bevor Oneida nach Hause musste. Ich ging zur Küche und fühlte mich plötzlich scheußlich. Ich stolperte und fiel auf die Knie, dann schlug ich der Länge nach hin. Oneida packte mich und hievte mich auf einen Stuhl, und ich kam wieder zu mir. Ich sagte ihr, ich hätte manchmal so ein Unwohlsein, keine Sorge. Das war gelogen, und ich weiß nicht, warum ich das sagte, aber sie glaubte mir sowieso nicht. Sie brachte mich in das Zimmer unten, in dem ich schlief, und zog mir die Schuhe aus. Dann schafften wir es irgendwie zusammen, mit ein bisschen Protest meinerseits, mir die Sachen aus- und den Schlafanzug anzuziehen. Zwischendurch war ich immer wieder mal weg. Ich sagte ihr, sie solle sich ein Taxi nehmen und nach Hause fahren, aber sie kümmerte sich gar nicht darum.
Sie schlief in der Nacht auf der Wohnzimmercouch, und nachdem sie sich am nächsten Tag im Haus umgesehen hatte, quartierte sie sich im Schlafzimmer meiner Mutter ein. Sie muss tagsüber in ihrer Wohnung gewesen sein, um sich die Sachen zu holen, die sie brauchte, und vielleicht auch im Einkaufszentrum für Lebensmittel, die ihrer Meinung nach meine Vorräte abrundeten. Sie sprach auch mit dem Arzt und holte mir eine Medizin, die ich jedes Mal schluckte, wenn sie mir etwas davon an den Mund hielt.
Fast eine Woche lang war ich immer wieder ohne Bewusstsein, musste mich übergeben und hatte Fieber. Hin und wieder sagte ich ihr, dass ich mich besser fühlte und allein zurechtkommen konnte, aber das war Unsinn. Meistens gehorchte ich ihr einfach und wurde von ihr so selbstverständlich abhängig wie von einer Krankenschwester in einem Krankenhaus. Sie war nicht so geschult darin, mit einem Fiebernden umzugehen, wie es eine Krankenschwester gewesen wäre, und manchmal, wenn ich die Kraft dazu hatte, jammerte ich wie ein Sechsjähriger. Dann entschuldigte sie sich, ohne gekränkt zu sein. Zwischen meinen Sprüchen, es gehe mir besser und sie solle überlegen, wieder nach Hause zu ziehen, war ich selbstsüchtig genug, nach ihr zu rufen, nur um mich zu vergewissern, dass sie noch da war.
Dann ging es mir gut genug, um die Sorge zu haben, sie könnte sich mit dem, was ich hatte, anstecken.
»Du solltest eine Schutzmaske tragen.«
»Mach dir keinen Kopf«, sagte sie. »Wenn ich’s kriegen soll, hätte ich’s schon längst.«
Als es mir zum ersten Mal wirklich besserging, war ich zu träge, um mir einzugestehen, dass ich Phasen hatte, in denen ich mich wieder wie ein kleines Kind fühlte.
Aber natürlich war sie nicht meine Mutter, und eines Morgens wachte ich auf und kam nicht umhin, das einzusehen. Ich musste an all die Dinge denken, die sie für mich getan hatte, und das brachte mich in große Verlegenheit. Ganz wie jeden Mann, aber mich besonders, weil mir wieder einfiel, wie ich aussah. Das hatte ich mehr oder weniger vergessen, und jetzt hatte ich den Eindruck, dass es ihr nicht peinlich gewesen war, dass sie alles so selbstverständlich hatte tun können, weil ich für sie ein Neutrum war oder ein unglückliches Kind.
Ich war jetzt höflich und ließ zwischen den Dankbarkeitsbekundungen meinen nunmehr sehr echten Wunsch einfließen, sie möge nach Hause gehen.
Sie verstand und war nicht gekränkt. Sie musste erschöpft sein von all dem unterbrochenen Schlaf und der ungewohnten Pflege. Sie ging zum letzten Mal einkaufen, um das zu besorgen, was ich brauchen würde, maß zum letzten Mal meine Temperatur und ging, wie ich dachte, in der zufriedenen Stimmung jemandes, der gute Arbeit getan hat. Unmittelbar bevor sie aufbrach, hatte sie im Vorderzimmer gewartet, um zu sehen, ob ich mich ohne Hilfe anziehen konnte, was ich zu ihrer Zufriedenheit fertigbrachte. Sie war kaum aus dem Haus, da holte ich schon die Geschäftsbücher hervor und machte da weiter, wo ich an dem Tag aufgehört hatte, als ich krank wurde.
Mein Kopf arbeitete langsamer, aber akkurat, und das war für mich eine große
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