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Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Titel: Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Verstörung gab sich bald.
    Sie bat den Hausbesitzer um Verzeihung, und er sagte, dass die Hitze einem schon zusetzen konnte.
    Jetzt zu Candace. Die beiden waren noch im ersten Monat wieder verschwunden, das konnte drei Wochen her sein. Keine Nachsendeadresse.
    »Wie in solchen Fällen üblich.«
    Sie verstand den Wink.
    »Ach, das regle ich natürlich …«
    Einiges Gemurmel und Geraschel, während das erledigt wurde.
    Dann: »Sie könnten mich wohl nicht sehen lassen, wo sie gewohnt haben …«
    »Der Mieter ist gerade nicht da. Aber selbst wenn er da wäre, glaube ich, er wäre nicht einverstanden.«
    »Natürlich. Dumm von mir.«
    »Ist da was, woran Sie besonders interessiert sind?«
    »Oh, nein. Nein. Sie waren sehr freundlich. Ich habe Ihre Zeit in Anspruch genommen.«
    Sie war jetzt aufgestanden, und beide bewegten sich. Aus dem Büro hinaus, die Stufen zur Haustür hinunter. Dann wurde die Tür aufgemacht, und der Straßenlärm verschluckte ihre Abschiedsworte, falls es welche gab.
    Wie groß die Enttäuschung auch gewesen sein mochte, sie hatte sich bestimmt mit Anstand aus der Affäre gezogen.
    Jackson kam aus seinem Versteck, als der Hausbesitzer ins Büro zurückkehrte.
    »Überraschung«, sagte er nur. »Wir haben unser Geld.«
    Er war ein Mann, der im Prinzip nicht neugierig war, zumindest nicht in Hinsicht auf persönliche Angelegenheiten. Eine Eigenschaft, die Jackson an ihm schätzte.
    Natürlich hätte Jackson sie gerne gesehen. Jetzt, wo sie fort war, bedauerte er es fast, die Gelegenheit nicht genutzt zu haben. Er würde sich jedoch nie so weit erniedrigen, den Hausbesitzer zu fragen, ob ihre Haare immer noch dunkel waren, fast schwarz, ihr Körper rank und schlank mit sehr wenig Busen. Er hatte sich von ihrer Tochter kein genaues Bild machen können. Ihre Haare waren blond, aber sehr wahrscheinlich gefärbt. Nicht mehr als zwanzig Jahre alt, obwohl das heutzutage manchmal schwer zu sagen war. Sehr unter der Fuchtel ihres Freundes. Lauf von zu Hause weg, lauf vor deinen Rechnungen weg, brich deinen Eltern das Herz, alles für ein mürrisches Exemplar wie diesen Freund.
    Wo war Kelowna? Irgendwo im Westen. Alberta, British Columbia. Eine weite Reise, um jemanden zu suchen. Natürlich war die Mutter eine hartnäckige Frau. Eine Optimistin. Wahrscheinlich traf das immer noch auf sie zu. Sie hatte also geheiratet. Es sei denn, das Mädchen war unehelich geboren worden, was ihm sehr unwahrscheinlich vorkam. Sie wäre auf Nummer sicher gegangen, beim nächsten Mal, sie hatte nichts für Tragödien übrig. Das Mädchen bestimmt auch nicht. Sie würde nach Hause kommen, wenn sie genug hatte. Möglich, dass sie ein Baby mitbrachte, aber das war ja heute so üblich.
     
     
    Kurz vor Weihnachten im Jahre 1940 hatte es einen Tumult in der Highschool gegeben. Er hatte sogar den vierten Stock erreicht, wo das Geklapper der Schreib- und Rechenmaschinen sonst alle Geräusche von unten übertönte. Die ältesten Mädchen der Schule waren da oben – Mädchen, die im vorigen Jahr Latein und Biologie und europäische Geschichte gelernt hatten und jetzt Schreibmaschine schreiben lernten.
    Eine von ihnen war Ileane Bishop, die seltsamerweise die Tochter eines Geistlichen war, obwohl es in der vereinigten Kirche ihres Vaters keine Bischöfe gab. Ileane war mit ihrer Familie hier angekommen, als sie in der neunten Klasse war, und fünf Jahre lang hatte sie aufgrund der alphabetischen Sitzordnung hinter Jackson Adams gesessen. Zu der Zeit hatten sich alle in der Klasse an Jacksons phänomenale Schüchternheit und Schweigsamkeit gewöhnt, aber ihr waren sie neu, und im Laufe der nächsten fünf Jahre bewirkte sie dadurch, dass es sie einfach nicht kümmerte, ein Auftauen. Sie borgte sich von ihm Radiergummis, Schreibfedern und Winkelmesser, weniger, um das Eis zu brechen, sondern weil sie von Natur aus schusselig war. Sie tauschten die Lösungen von Aufgaben aus und kontrollierten gegenseitig ihre Klassenarbeiten. Wenn sie sich auf der Straße begegneten, sagten sie Hallo, und für sie brachte er tatsächlich ein Hallo heraus, das nicht nur gemurmelt war – es bestand aus zwei Silben und hatte Nachdruck. Darüber hinaus lief wenig, außer ein paar gemeinsamen Witzen. Ileane war kein schüchternes Mädchen, aber intelligent, zurückhaltend und nicht besonders beliebt, und das konnte ihm gefallen haben.
    Von ihrem Beobachtungspunkt oben an der Treppe, als alle herausgekommen waren, um sich den Krawall anzuschauen,

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