Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Titel: Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
Vom Netzwerk:
Dunkelheit. Manchmal gingen sie in ein Restaurant und tranken Kaffee, mochten aber nie mit jemand anderem reden. Was war mit ihnen, waren sie dabei, sich zu verlieben? Wenn sie spazieren gingen, konnte es sein, dass ihre Hände sich streiften, und mit etwas Mühe gewöhnte er sich daran. Als Ileane dann vom Zufälligen zum Absichtlichen überging, fand er das anfangs ein wenig unangenehm, merkte aber, dass er sich auch daran gewöhnen konnte.
    Er wurde gelassener und war sogar auf Küsse gefasst.
     
     
    Ileane ging allein zu Jacksons Haus, um seine Tasche abzuholen. Seine Stiefmutter zeigte ihre leuchtend weißen falschen Zähne und versuchte dreinzuschauen, als sei sie zu Späßen aufgelegt.
    Sie fragte, was Ileane mit Jackson vorhätte.
    »Pass bloß dabei auf«, sagte sie.
    Sie stand in dem Ruf, ein loses Maul zu haben. Sogar ein dreckiges.
    »Frag ihn, ob er sich daran erinnert, dass ich ihm den Hintern abgeputzt habe«, sagte sie.
    Was Ileane berichtete und betonte, dass sie selbst besonders höflich, sogar herablassend gewesen sei, weil sie die Frau nicht ausstehen konnte.
    Aber Jackson wurde rot, fühlte sich in die Ecke getrieben und verzweifelt, wie früher, wenn man ihm in der Schule eine Frage stellte.
    »Ich hätte gar nicht von ihr anfangen sollen«, sagte Ileane. »Aber es wird einem zur Gewohnheit, andere zu parodieren, wenn man in einem Pfarrhaus lebt.«
    Er sagte, es sei schon gut.
    Wie sich herausstellte, war das Jacksons letzter Tag, bevor es an die Front ging. Sie schrieben einander. Ileane berichtete, dass sie ihren Kurs in Steno und Schreibmaschine abgeschlossen und eine Stellung in der Stadtverwaltung angenommen hatte. Sie behandelte alles entschieden satirisch, stärker als zuvor in der Schule. Vielleicht dachte sie, dass jemand im Krieg Aufheiterung brauchte. Und sie bestand darauf, nun Bescheid zu wissen. Wenn der Vater eilige Eheschließungen vornehmen musste, schrieb sie von der »jungfräulichen Braut«.
    Und wenn sie vom Besuch eines anderen Geistlichen im Pfarrhaus berichtete, der im Gästezimmer schlief, dann überlegte sie, ob die Matratze ihm wohl »gewisse Träume« bescheren würde.
    Er berichtete von den Menschenmassen auf der
Ile de France
und den Ausweichmanövern, um den U-Booten zu entgehen. Als er in England ankam, kaufte er sich ein Fahrrad und erzählte ihr von Orten, zu denen er geradelt war, falls sie nicht im Sperrgebiet lagen.
    Diese Briefe, obwohl prosaischer als ihre, waren immer unterschrieben mit »In Liebe«. Als der Tag der Landung in der Normandie kam, entstand ein, wie sie es nannte, unerträgliches Schweigen, doch sie verstand den Grund dafür, und als er wieder schrieb, war alles gut, auch wenn keine Einzelheiten erlaubt waren.
    In diesem Brief schrieb er, wie sie es schon getan hatte, von Heirat.
    Und schließlich der Tag des Sieges der Alliierten und die Heimreise. Schwärme von Sternschnuppen, schrieb er, am ganzen Himmel.
    Ileane hatte nähen gelernt. Sie schneiderte sich ein neues Sommerkleid zu Ehren seiner Heimkehr, ein Kleid aus lindgrüner Kunstseide mit weitem Rock und kurzen Glockenärmeln, getragen mit einem schmalen Gürtel aus goldfarbenem Kunstleder. Sie wollte sich noch einen Streifen aus demselben grünen Stoff um ihren Sommerhut winden.
    »Diese ganze Beschreibung dient dazu, dass Du mich siehst und weißt, ich bin’s, und nicht mit einer anderen schönen Frau davonläufst, die zufällig auf dem Bahnsteig steht.«
    Er gab seinen Brief an sie in Halifax auf, teilte ihr mit, dass er am Samstag im Abendzug sitzen werde. Er schrieb, dass er sich sehr gut an sie erinnerte und nicht in Gefahr stand, sie mit einer anderen Frau zu verwechseln, selbst wenn an dem Abend der Bahnsteig davon wimmeln sollte.
     
     
    Am letzten Abend vor seiner Abreise hatten sie bis spät in die Nacht in der Küche des Pfarrhauses gesessen, wo ein Foto von König Georg  VI . hing, das man in dem Jahr überall sah. Ebenso wie die Worte, die darunter standen.
    Und ich sagte zu dem Mann, der das Tor zum neuen Jahr hütete:
    »Gib mir ein Licht, dass ich sicher ins Unbekannte ausschreiten kann.«
    Und er antwortete: »Geh hinaus in die Dunkelheit und lege deine Hand in die Hand Gottes. Das wird für dich besser sein als Licht und sicherer als ein bekannter Weg.«
    Dann stiegen sie sehr leise die Treppe hinauf, und er ging im Gästezimmer zu Bett. Dass sie zu ihm kam, mussten sie miteinander vereinbart haben, aber vielleicht hatte er nicht ganz verstanden, wozu.
    Es war

Weitere Kostenlose Bücher