Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
sah Ileane zu ihrer Überraschung, dass einer der beiden Jungen, die ihn veranstalteten, Jackson war. Der andere war Billy Watts. Jungen, die noch vor einem Jahr über ihren Büchern gesessen hatten und gehorsam von einem Klassenzimmer ins andere geschlurft waren, hatten sich verwandelt. In der Armeeuniform sahen sie doppelt so groß aus wie vorher, und ihre Stiefel machten mächtigen Lärm, während sie umhersprangen. Sie verkündeten lauthals, dass die Schule für diesen Tag aus war, weil alle in den Krieg mussten. Sie verteilten überall Zigaretten, warfen sie auf den Fußboden, wo sie von den Jungen aufgehoben werden konnten, die sich noch gar nicht rasierten.
Unbekümmerte Krieger, johlende Angreifer. Sturzbetrunken.
»Ich bin kein Drückeberger«, brüllten sie immer wieder.
Der Rektor versuchte, sie hinauszubefördern. Aber da der Krieg erst vor kurzem angefangen hatte und es noch Ehrfurcht und besondere Achtung vor den Jungen gab, die sich zur Front gemeldet hatten, brachte er es nicht fertig, sie so gebieterisch zu behandeln, wie er es ein Jahr später getan hätte.
»Aber, aber«, sagte er.
»Ich bin kein Drückeberger«, teilte Billy Watts ihm mit.
Jackson machte den Mund auf, um wahrscheinlich dasselbe zu sagen, aber in diesem Moment begegnete sein Blick dem Blick von Ileane Bishop und teilte ihr etwas mit.
Ileane Bishop verstand, dass Jackson eigentlich betrunken war, dass dieser Zustand ihm aber erlaubte, betrunken zu spielen, und er seine zur Schau gestellte Trunkenheit im Griff hatte. (Billy Watts dagegen war einfach nur volltrunken.) Mit diesem Wissen ging Ileane die Treppe hinunter und nahm lächelnd eine Zigarette an, die sie unangezündet zwischen den Fingern hielt. Sie hakte beide Helden unter und marschierte mit ihnen zur Schule hinaus.
Sobald sie draußen waren, zündete sie sich ihre Zigarette an.
Darüber gab es später in der Gemeinde von Ileanes Vater Meinungsverschiedenheiten. Einige sagten, Ileane hätte die Zigarette nicht wirklich geraucht, sondern nur so getan, um die Jungen zu besänftigen, während andere sagten, doch, sie hätte sie geraucht. Die Tochter ihres Pfarrers hatte geraucht!
Was stimmte, war, dass Billy die Arme um Ileane legte und sie zu küssen versuchte, aber er geriet ins Stolpern, setzte sich auf die Stufen vor der Schule und krähte wie ein Hahn.
Keine zwei Jahre später war er tot.
Aber erst einmal musste er nach Hause geschafft werden, und Jackson zog ihn hoch, so dass sie sich seine Arme über die Schultern legen und ihn abschleppen konnten. Zum Glück war es von der Schule nicht weit bis zu seinem Haus. Dort ließen sie ihn vor der Haustür liegen, völlig weggetreten. Dann kamen sie ins Gespräch.
Jackson wollte nicht nach Hause. Warum nicht? Weil seine Stiefmutter da war, sagte er. Er hasste seine Stiefmutter. Warum? Kein Grund.
Ileane wusste, dass seine Mutter bei einem Autounfall das Leben verloren hatte, als er noch ganz klein war – das wurde immer erwähnt, um seine Schüchternheit zu erklären. Sie dachte, dass der Alkohol ihn wahrscheinlich zu Übertreibungen aufstachelte, aber sie versuchte nicht, ihn dazu zu bringen, weiter darüber zu reden.
»Na gut«, sagte sie. »Du kannst zu uns kommen.«
Zufällig war Ileanes Mutter gerade fort und pflegte Ileanes kranke Großmutter. Ileane besorgte zu der Zeit für ihren Vater und ihre beiden jüngeren Brüder aufs Geratewohl den Haushalt. Das war nach Meinung einiger ein Unglück. Nicht, dass ihre Mutter Theater gemacht hätte, aber sie hätte acht auf das Kommen und Gehen gehabt und hätte wissen wollen, wer dieser Junge war. Zumindest hätte sie dafür gesorgt, dass Ileane weiter regelmäßig zur Schule ging.
Ein Soldat und ein Mädchen, plötzlich so nah beieinander. Wo sonst die ganze Zeit über nichts gewesen war als Logarithmen und Deklinationen.
Ileanes Vater kümmerte sich nicht um die beiden. Er interessierte sich mehr für den Krieg, als es sich nach Meinung einiger seiner Gemeindemitglieder für einen Pfarrer schickte, und das machte ihn stolz, einen Soldaten im Haus zu haben. Außerdem war er unglücklich darüber, seine Tochter nicht aufs College schicken zu können. Er musste sparen, damit eines Tages ihre Brüder aufs College konnten, denn sie würden einen guten Beruf brauchen. Das machte ihn nachsichtig gegenüber Ileane und allem, was sie tat.
Jackson und Ileane gingen nicht ins Kino. Sie gingen nicht tanzen. Sie gingen spazieren, bei jedem Wetter und oft nach Einbruch der
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