Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
Arbeit.«
Sie hätte gleich wissen müssen, dass er kein Mann für höfliches Geplauder ist. Aber sie bleibt neugierig.
Was war hier vorher?
Bevor er den Garten anlegt hat?
»Eine Strickwarenfabrik. Alle diese Städtchen hatten so etwas, man kam damals mit Hungerlöhnen durch. Aber die ging mit der Zeit bankrott, und es gab einen Bauunternehmer, der kam auf die Idee, daraus ein Pflegeheim zu machen. Doch er kriegte Ärger, die Stadt wollte ihm keine Genehmigung erteilen, aufgrund der Vorstellung, dann kämen viele alte Leute her, was die Atmosphäre verschlechtern würde. Also hat er die Fabrik angezündet oder abreißen lassen, ich weiß es nicht.«
Er ist nicht von hier. Sogar sie weiß, wenn er es wäre, würde er niemals so offen reden.
»Ich bin nicht von hier«, sagt er. »Ich hatte aber einen Freund, der war von hier, und als er starb, bin ich nur hergekommen, um alles abzustoßen und wieder zu verschwinden. Aber dann konnte ich das Grundstück billig erwerben, weil der Bauunternehmer nur ein Loch im Boden übrig gelassen hatte und es ein Schandfleck war.«
»Tut mir leid, wenn ich zu neugierig bin.«
»Schon gut. Wenn mir nicht danach ist, etwas zu erklären, tue ich es nicht.«
»Ich bin noch nie hier gewesen«, sagt sie. »Natürlich nicht, sonst hätte ich diesen Ort entdeckt. Ich bin auf der Suche nach etwas herumgelaufen. Ich dachte, ich würde es leichter finden, wenn ich das Auto abstelle und zu Fuß gehe. Ich habe eigentlich eine Arztpraxis gesucht.«
Sie erklärt, dass sie nicht krank ist, nur für den nächsten Tag einen Termin hat, und nicht morgens auf der Suche nach der Praxis herumrennen will. Sie erzählt, wo sie das Auto geparkt hat und wie erstaunt sie gewesen ist, den Namen des Arztes nirgendwo finden zu können.
»Ich konnte auch nicht ins Telefonbuch schauen, denn Sie wissen ja, dass die Telefonbücher und die Telefonzellen inzwischen alle verschwunden sind. Oder aus dem Telefonbuch ist alles rausgerissen worden. Ich fange an, Unsinn zu reden.«
Sie nennt ihm den Namen des Arztes, der ihm nichts sagt.
»Allerdings gehe ich nie zum Arzt.«
»Wahrscheinlich ist das klug von Ihnen.«
»Ach, das würde ich nicht sagen.«
»Jedenfalls sollte ich mich auf den Weg zu meinem Auto machen.«
Er steht mit ihr zusammen auf und sagt, er wird sie begleiten.
»Damit ich mich nicht verlaufe?«
»Nicht ganz. Ich versuche immer, mir um diese Abendzeit die Beine zu vertreten. Gartenarbeit kann recht steif machen.«
»Bestimmt gibt es eine vernünftige Erklärung für diesen Arzt. Kommt Ihnen manchmal der Gedanke, dass es früher vernünftige Erklärungen für viel mehr Dinge gab als heute?«
Er antwortet nicht. Denkt vielleicht an den verstorbenen Freund. Vielleicht ist der Garten eine Gedenkstätte für den verstorbenen Freund.
Statt jetzt verlegen zu sein, weil sie etwas gesagt und er nicht geantwortet hat, gibt ihr das Gespräch ein Gefühl von Frische, von Frieden.
Sie gehen, ohne einer Menschenseele zu begegnen.
Bald erreichen sie die Hauptstraße, nur eine Querstraße vom Ärztehaus entfernt. Bei seinem Anblick fühlt sie sich etwas unbehaglich und weiß erst nicht, warum, doch dann weiß sie es. Sie hat eine absurde, aber beunruhigende Vorstellung, die der Anblick des Ärztehauses ihr eingegeben hat. Was, wenn der richtige Name, den sie angeblich nicht finden konnte, dort die ganze Zeit über gestanden hat? Sie geht rascher, sie merkt, dass sie zittert, und dann, da sie noch gut sieht, liest sie die beiden Namen, die so nichtssagend sind wie zuvor.
Sie tut so, als hätte sie sich beeilt, um sich das Sammelsurium in dem Schaufenster anzuschauen, die Puppen mit Porzellanköpfen, die alten Schlittschuhe und Nachttöpfe, die zerlumpten Quilts.
»Traurig«, sagt sie.
Er hört nicht zu. Er sagt, dass ihm gerade etwas eingefallen ist.
»Dieser Arzt«, sagt er.
»Ja?«
»Ich überlege, ob er mit dem Heim in Verbindung steht?«
Sie gehen weiter und kommen an zwei jungen Männern vorbei, die auf dem Bürgersteig sitzen, der eine mit ausgestreckten Beinen, so dass sie um ihn herumgehen müssen. Der Mann neben ihr beachtet sie nicht, spricht aber leiser.
»Heim?«, fragt sie.
»Wenn Sie von der Autobahn her in die Stadt gefahren sind, konnten Sie es nicht sehen. Aber wenn Sie zum See hin aus der Stadt hinausfahren, kommen Sie daran vorbei. Nicht mehr als eine halbe Meile außerhalb. Sie fahren an der Kieshalde auf der Südseite der Straße vorbei, und dann ist es nur noch ein
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