LIEBES LEBEN
dabei, nach dem Typ Ausschau zu halten, der gestern am Telefon war. Ich würde ihm am liebsten zurufen, dass man mich gar nicht sitzen hat lassen.
»Ashley arbeitet als Patentanwältin bei Selectech«, sagt Kevin. Schon wieder der Lebenslauf. »Sie kommt gerade aus Taiwan, wo sie eines ihrer Patente verteidigt hat.«
Doktor Novak schüttelt den Kopf. »Sehr schön, Miss Stockingdale.«
»Nennen Sie mich doch Ashley.«
»Ashley? Dieser Name kam doch erst nach Ihrer Zeit auf, oder, meine Liebe?«, fragt Madam. »Ich meine, Ashleys sind für gewöhnlich jetzt neun oder zehn Jahre alt.«
»Meine Mutter hat mich nach Ashley Wilkes benannt, aus Vom Winde verweht .«
»Warum um alles in der Welt hat sie das getan?«
Ich zucke mit den Schultern. »Ich nehme an, die Rolle hat ihr gefallen.«
»Aber das war doch ein Mann«, stellt Mrs. Novak die offensichtliche Tatsache fest. Und wo bleibt hier die Intelligenz eines Mensa-Mitglieds?
»Was führt Sie beide denn hierher?«, frage ich.
»Eine Chirurgen-Konferenz. Die neuesten Entwicklungen in lasergesteuerten Robotern. Wissen Sie, Ashley, ich habe eine Idee für ein neues Operationsinstrument, und da könnte ich Ihre Hilfe brauchen, um es patentieren zu lassen«, meint Dr. Novak. »Dann könnte ich wahrscheinlich ganz aufhören zu arbeiten.«
»Das ist auch mein Ziel. Als ich in Taiwan war, habe ich mich nach dieser Maschine umgesehen, Dad. Ich weiß, wie es geht«, sagt Kevin. »Ein gutes Produkt, und man hat mit den Nutzungsrechten sein Leben lang ausgesorgt.«
»Dazu bist du eigentlich noch zu jung, Kevin, denn ein Patent läuft nur zwanzig Jahre. Bei medizinischen Spezialgeräten kann es sehr lange dauern, bis Geld fließt. Das Geheimnis für ein gutes Patent sind hohe Verkaufszahlen oder eine große Nachfrage. Wenn du zum Beispiel eine Maschine erfindest, mit der man Krebs heilen kann.«
Wenn ich mich nicht täusche, knirscht Kevin mit den Zähnen.
»Wer sagt, dass ich das nicht kann?«
»Niemand. Ich ganz bestimmt nicht.«
»Miss Stockingdale, wo haben Sie studiert?«
»An der Santa Clara Universität. Sie ist für ihren Jurazweig bekannt, und der Campus hat mir schon als Kind gefallen.«
»Ja, hat nicht jemand in O. J. Simpsons Fall dort gearbeitet?«, fragt Madam.
»Gerald Uelman ist dort Professor, aber werfen Sie uns das nicht vor; es ist eine sehr gute Universität.«
»Ich höre heute zum ersten Mal von ihr«, meint Madam naserümpfend.
Ach, und woher wussten Sie von Gerald Uelman?, würde ich sie zu gerne fragen. Aber ich halte den Mund.
Der Ober kommt, und ich würde ihm am liebsten um den Hals fallen, einfach nur, weil er ein normaler Mensch ist und wahrscheinlich den gleichen IQ hat wie ich. »Was darf ich Ihnen bringen?«, fragt er mich.
Jemand, mit dem ich über die neueste Ausgabe vom People Magazin reden kann. »Ich nehme eine Cola Light mit etwas Zitrone.« Heute bin ich nobel.
Kevin bestellt sich den Hauswein und schwenkt ihn dann extra wegen mir auffällig in seinem Glas. Ja, ja, kannst du auch eine frisch geröstete Kaffeebohne von einer alten unterscheiden? Ich kann das.
»Ich habe unheimlich Lust auf einen Espresso«, sage ich plötzlich. »Können Sie mir einen bringen?«, frage ich den Ober, der sich vor unserem Tisch aufgebaut hat und auf Kevins Okay zu dem Wein wartet.
»Selbstverständlich, Miss.« Und dann zwinkert mir der süße Ober zu. I want to go to Riu.
Plötzlich wird mir bewusst, dass Kevins Haare akkurater geschnitten sind als alles, was ich je gesehen habe. Als sei sein Haar geschaffen, um kerzengerade zu liegen. Ob er sich mit einem chirurgischen Instrument frisiert? Oder ob seine Mutter immer aus Atlanta kommt, um dafür zu sorgen, dass jedes Haar sitzt? Ich frage mich, ob Gott uns unseren Beruf nach unseren Haaren gibt. Menschen mit sehr vielen Haaren tendieren zu Marketing-Berufen.
Aber andererseits kann ich die Anziehungskraft zwischen uns nicht leugnen. Das muss doch auch zählen. Wenn ich Seth angeschaut habe, hatte ich dieses momentane Hochgefühl. Das Gleiche empfinde ich bei Kevin, nur noch viel stärker, wie wenn ein Flugzeug ganz steil startet, um den Lärmpegel zu verringern. Mein Magen macht andauernd Turnübungen, wenn er mich ansieht. Aber dann beobachte ich ihn mit diesem lächerlichen Glas Wein in der Hand und würde am liebsten etwas Verletzendes sagen. Er steckt seine Nase beinahe ins Glas und inhaliert wie ein Schwein, das nach Trüffeln schnüffelt. Was soll das?
Kevin hat ganz eindeutige
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