LIEBES LEBEN
dass er eine Amerikanerin bekommen hätte.«
»Er ist nicht gerade der heißeste Kandidat.«
»Lasst uns etwas spielen«, verkünde ich. Ich teile die Frauen in kleine Gruppen auf, und wir spielen das Klopapier-Hochzeitskleid-Spiel. Wie viel Kreativität kann man schon von mir erwarten, mit zwei Tagen Vorbereitungszeit? Meine Tanten, als eifrige Quilt-Näherinnen, verzieren ihr Kleid mit Klopapierrosetten und Schleifen, und obwohl es mir schwerfällt, gebe ich sie mit ihrem wallenden, bodenlangen Toilettenpapierschleier doch als Siegerinnen bekannt.
Großer Seufzer der Erleichterung. Ein Spiel ist rum. Eines kommt noch. Aber die Frauen unterhalten sich, und ich kann sie in ihrer Ausgelassenheit nicht unterbrechen. »Ich habe noch ein Spiel«, sage ich, aber niemand hört auf zu reden.
Mei Ling schüttelt den Kopf. »Ist schon in Ordnung, Ashley. Ich glaube, sie wollen gar nicht mehr spielen, und ich habe alle kennen gelernt. Das reicht.«
»Wir müssen noch die Geschenke auspacken.«
»Das werden wir. Du machst dir zu viele Gedanken. Dein Bruder hat gesagt, dass du dir immer so viele Gedanken machst.«
Ich kann kaum glauben, dass mein Bruder überhaupt von mir spricht . »Das hat er gesagt?«
»Dein Bruder hat gesagt, dass du die klügste Frau wärst, die er kennt, und dass ich dich mögen würde.«
»Mein Bruder hat das gesagt?«
Mei Ling lacht. »Warum nicht? Er ist dein treuster Unterstützer. Er hat erzählt, dass du oft nach Taiwan fliegst und dass wir dich vielleicht auf einer deiner Reisen begleiten könnten, um einige meiner Verwandten ausfindig zu machen.«
»Wo hast du meinen Bruder kennen gelernt?« Jetzt bin ich wirklich misstrauisch, ob das nicht irgendein ausgeklügelter Witz auf meine Kosten ist. Meine Mutter hat gesagt, dass sie in einer chinesischen Gemeinde heiraten wollten, aber ...
»Eine Freundin hat ihn vor etwa einem halben Jahr zu uns in die Gemeinde mitgebracht. Sie sind nicht zusammengeblieben, aber Dave ist trotzdem in der Gemeinde geblieben. Er ist seither immer gekommen und hat sogar ein bisschen Chinesisch gelernt.«
Dass Dave eine Reise nach Taiwan schnorrt, kann ich mir noch vorstellen, aber dass er in die Kirche geht? Dagegen ist jede Science-Fiction-Sendung glaubwürdiger. Dave ein Raelianer oder ein Zeuge Jehovas könnte ich mir noch vorstellen, aber ein bibeltreuer Christ in einer chinesischen Gemeinde? Niemals. Das ist einfach völlig ausgeschlossen.
»Dein Bruder ist ein ganz lieber Mann, Ashley. Ich weiß, dass ihr beide euch öfter mal gestritten habt, aber es wird Zeit, dass ihr euch vergebt.«
Hatte ich heute nicht schon eine Predigt? Und jetzt noch eine von der gläubigen Verlobten meines Bruders? Nichts ist so, wie ich dachte. Gott kann aus meinem faulen Bruder einen Christen machen, aber er schafft es nicht, dass Seth erkennt, dass ich die Richtige für ihn bin. Ich kneife die Augen zu. Seth. Ich meinte eigentlich Kevin, oder? Dr. Kevin.
18
Als ich heimkomme, sehe ich, dass mein Anrufbeantworter blinkt. Es ist schon peinlich, dass mich das in Hochstimmung versetzt. Aber es ist erst Sonntagabend. Nicht Mittwoch, noch nicht einmal ein jämmerlicher Ich-bin-noch-nicht-verabredet-Donnerstag. Es ist Sonntag, und ich habe eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter; wie sollte ich da nicht begeistert sein?
Ich hüpfe zu meinem Telefon und drücke auf den roten Hoffnungsknopf.
»Hallo Ash, hier ist Brea. Ich weiß, dass du sauer bist. Aber hör mir zu. John war ...«
Ich drücke noch einmal auf den Knopf. Muss ich mir die Entschuldigung wirklich anhören? John kommt eben zuerst. Was muss ich sonst noch wissen? Es gibt keine weiteren Nachrichten. In Augenblicken wie diesem brauche ich meine Bibel. Ich fange an, im Jakobusbrief zu lesen, als das Telefon klingelt.
»Du bist stinksauer auf mich«, sagt Brea.
»Äh, ja.«
»Hast du dir meine Entschuldigung angehört?«
Brea kennt mich einfach zu gut. Wie ich das hasse. »Nein, aber lass mich raten. John hat sich beim Kegeln schwer verletzt, und ihr wart den ganzen Nachmittag in der Notaufnahme.«
»Sehr witzig.«
Ich verschränke beleidigt die Arme. »Weißt du, ich freue mich ja wirklich, dass du geheiratet hast und so, aber du brauchst doch auch noch Freundinnen, oder? John kann doch nicht dein ganzes Leben ausmachen. Das wäre ja genauso armselig, wie nie mit einem Mann auszugehen. Ich hatte wirklich mit dir gerechnet heute, Brea. Es war extrem unangenehm mit meinen Großtanten. Ganz zu schweigen von meiner
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