LIEBES LEBEN

wird.
    »Wow!«, sagt er und klingt gebührend beeindruckt, was mich nur noch kleiner werden lässt.
    »Ja, das ist ein ganz großer Fisch für mich.« Oh, wie sehr ich mich gerade selbst nicht mag.
    »Rufst du mich an, wenn du wieder da bist?«, fragt er. Er bleibt dabei. Er ist ein Masochist, das wird es wohl sein.
    »Ich weiß gar nicht, wo ich dich erreichen kann«, gestehe ich. Vielleicht ist das auch besser so. Man kommt gar nicht erst in Versuchung, den Mann anzurufen, wenn man seine Nummer nicht weiß, aber wenn er weiß, dass du seine Nummer hast, wird er sich hüten, mit zu vielen Frauen zu spielen. Stimmt’s? Man sollte meinen, dass man sich in christlichen Kreisen darüber keine Gedanken machen muss, aber Männer sind Männer. Brea hat recht, ich bin krank und verdorben.
    Brea. Es scheint schon eine Ewigkeit her zu sein, seit ich mit ihr gesprochen habe. Dieser Tag ist viel zu lang. Die Ewigkeit kommt einem in den Sinn. Aber jetzt telefoniere ich gerade mit einem Arzt, der zu schön ist, um wahr zu sein, wohne bei einer Frau, die sogar die Hausfrauenikone Martha Stewart in den Schatten stellt, und vertraue mein ganzes Hab und Gut Seth Greenwood an.
    »Bist du wieder im selben Hotel?«, fragt Kevin.
    »Ja, wahrscheinlich sogar im selben Zimmer. Die Aussicht auf diesen Betonklotz nebenan scheint mich magisch anzuziehen.«
    Er lacht. Es ist ein klangvolles, tiefes Lachen. Er trifft mich im tiefsten Inneren. Aber es ist zu schön, um wahr zu sein. Das muss ich mir immer wieder vorsagen.
    »Hier ist meine Telefonnummer. Ruf mich an, wenn du wieder da bist, ja? Ich werde dich richtig zum Essen einladen, ohne meine Eltern.«
    »Richtig essen?« Ich könnte wetten, dass es da keine Rabattmarken gibt.
    »Wo wir uns an einen gedeckten Tisch setzen und ich keine Rufbereitschaft habe und mich ganz darauf konzentrieren kann, dich kennen zu lernen. Ich weiß, dass es etwas unangenehm ist mit Arin im Hintergrund, aber du musst wissen, dass ich vor Arin mit einer langjährigen Freundin Schluss gemacht habe, die nach Minnesota gezogen ist. Ich bin also etwas außer Übung in der Partnersuche.«
    ICH BIN NICHT DIE ÜBERGANGSLÖSUNG! Wie stehen meine Chancen? Dieses kleine Klappergestell von Literaturstudentin war die Übergangslösung. Ich bin eine echte Möglichkeit. Auch wenn seine Eltern mich verachten. Vielleicht gerade weil seine Eltern mich verachten. Es gibt immer noch Hoffnung auf Dr. Kevin.
    »Ich bin auch aus der Übung«, gestehe ich, ohne hinzuzufügen, dass ich seit einem halben Jahr mit keinem Mann mehr verabredet war.
    »Gut«, meint Kevin. »Dann üben wir zusammen. Ruf mich an, wenn du wieder da bist.«
    Ich stelle mir gerade sein Hugh-Jackman-Kinn auf eine seiner eleganten Hände gestützt vor und frage mich gleichzeitig, ob er mich in seiner Rostbeule von Auto in ein elegantes Restaurant einladen wird. Ich bin wirklich oberflächlich. Das will ich nicht, aber es sitzt tief in mir drin, dieser Hauch von Scarlett O’Hara. Wenn ich nicht so viele Erwartungen hätte, wäre mein Leben in bester Ordnung.
    »Tschüss«, sage ich leise. Mein Handy klingelt noch einmal, und ich werfe Kay einen entschuldigenden Blick zu, bevor ich drangehe. »Hallo, hier Ashley Stockingdale.«
    »Ashley, ich bin’s, Mama.«
    »Mama, was gibt’s? Meinst du, die Brautparty war in Ordnung?«
    »Ja, natürlich, mein Schatz. Ich rufe nur an, weil du vergessen hast, dein Brautjungfernkleid mitzunehmen.«
    Furcht und Zittern. »Mama, Mei Ling und ich haben doch noch gar keines gekauft.«
    »Ashley Wilkes Stockingdale, irgendwer muss sich ja um alles kümmern, während du am anderen Ende der Welt bist. Die Hochzeit steht unmittelbar bevor, also habe ich dir ein passendes Kleid gekauft.«
    »Mei Ling hat heute ein Designerkleid von DKNY getragen, Mama. Ist es vielleicht auch ein Kleid von DKNY?«, frage ich hoffnungsvoll.
    »Was soll denn das sein? Um Himmels willen, nein, es ist kein modischer Firlefanz. Ich habe es bei Last Lots gefunden, und es wird dir perfekt stehen.«
    Soll ich fragen? »Was ist Last Lots?«
    »Das ist dieses Kaufhaus, das die Sachen aus den teuren Geschäften nimmt, die sie dort nicht verkauft haben, sie heruntersetzt und dann verkauft.«
    »Oh, meinst du, Dave will etwas Heruntergesetztes zu seiner Hochzeit?«
    »Dave ist ein sehr praktisch veranlagter Junge, Ashley. Er ist nicht so wie du, er denkt nicht, dass schicke Sachen immer teuer sein müssen. Manchmal frage ich mich, ob ich dich nicht besser hätte