LIEBES LEBEN
klingen. Ein fröhlicher Tonfall wäre absolut nervig, wenn ich die ganze Nacht gearbeitet hätte.
»Hast du deine Koffer gepackt?«
»Ja.«
»Pack sie wieder aus. Sie wollen, dass wir ihre Produkte aus dem Zoll freigeben. Dein erstes Angebot hat gegriffen.«
»Was?« Meine Fantasien von meiner glänzenden Verteidigungsrede zerplatzen. Ich bin nur eine Hilfskraft. Eine Hilfskraft, die 150.000 Dollar im Jahr verdient und Belegschaftsaktien hat, aber immer noch eine Hilfskraft. Klingt das nicht toll? 150.000 Dollar im Jahr. Aber eine durchschnittliche Stadtwohnung kostet hier in der Gegend 600.000 Dollar, und dieses riesige Gehalt deckt gerade mal so die Miete für meine Wohnung in Palo Alto, die Leasingraten für meinen Audi TT und eine kleine Rücklage, für den Fall, dass ich entlassen werde. Kein Wunder, dass ich mich in eine Traumwelt flüchte; sie ist viel schöner als die Wirklichkeit.
»Sie nehmen das ursprüngliche Angebot an, das du bei deiner ersten Reise ausgehandelt hast. Hast du übrigens gut gemacht. Ich schätze, sie wollten nur testen, ob wir mit den Tantiemen runtergehen würden. Ich hatte noch keinen Termin für dich ausgemacht, also mussten sie annehmen, dass wir nicht weiter verhandeln, und haben die Produkte übers Wochenende freigegeben.« Purvi ist richtig ausgelassen, trotz ihrer Müdigkeit.
In meinem Büro klingelt das Telefon. Wer ruft mich um sechs Uhr morgens an? Ich laufe hinüber, um es herauszufinden, und bete auf dem Weg, dass es kein Todesfall ist. »Hier Ashley Stockingdale.«
»Ash, ich bin’s, Dave. Was hast du gemacht?«
»Wie meinst du das?«
»Mei Ling hat mich vor einer Stunde geweckt und war in Tränen aufgelöst. Du und Mama, ihr habt irgendein schreckliches lila Kleid für die Hochzeit ausgesucht.«
»Dave, ich habe gar nichts für die Hochzeit ausgesucht. Ich hatte mich mit Mei Ling für diese Woche verabredet, um einkaufen zu gehen, aber Mama hat mich gestern Abend angerufen und mir gesagt, dass schon alles erledigt sei.«
»Nein, es ist gar nichts erledigt.«
»Dave«, sage ich gedehnt, »hast du mich in deinem ganzen Leben schon jemals Lila tragen sehen? Warum sollte ich meiner Schwägerin so etwas antun?«
»Du hast diese schreckliche Party gestern geplant. Lila und Gold, Ash?«
»Da hat deine Mutter ihr Unwesen getrieben«, antworte ich. Ich kann nichts für meine Abstammung. Nicht einmal mein eigener Bruder kann mir das anhängen. »So etwas habe ich seit meinen Highschool-Tagen als Cheerleader nicht mehr getragen.«
»Es schmerzt Mei Ling sehr, dass ihre Eltern nicht hier sein können und dass es nichts traditionell Chinesisches bei der Hochzeit gibt. Sie halten ziemlich auf ihre Traditionen.«
»Mei Ling ist jetzt Christ«, entgegne ich.
»Sie ist trotzdem noch eine Frau mit Träumen und einer Geschichte. Ich nehme mal an, dass du dich bei deiner Hochzeit auch in Weiß siehst.«
»Dave, Mei Ling ist das süßeste Ding seit der Erfindung von Zuckerwatte. Mir würde es nicht im Traum einfallen, ihr oder deiner Hochzeit zu schaden. Also sag mir einfach, was du von mir willst.«
»Ich möchte, dass du herausfindest, was zu einer chinesischen Hochzeit gehört, und dich darum kümmerst. Ich weiß, dass ich nicht immer ein guter Bruder für dich war, aber ich möchte, dass Mei Ling sich hier willkommen fühlt und weiß, dass wir alles tun, damit es ihr schönster Tag wird.«
Eine traditionelle, chinesische Hochzeit in Las Vegas? Und wie genau soll das funktionieren? Ich bin Anwältin und keine Veranstaltungsmanagerin. Alles, was ich über Hochzeitsplanungen weiß, habe ich aus der Zeitschrift InStyle.
»Dave, ich werde tun, was ich kann.«
»Ashley!«, schreit Purvi. Das heißt nichts Gutes.
»Ich muss los. Mach dir keine Sorgen, wir sorgen dafür, dass es ein ganz besonderer Tag für Mei Ling wird. Versprochen.« Ich lege auf.
Purvi ruft lauter. »Ja?«
»Du musst meinen Sohn für mich bei meiner Schwiegermutter abholen. Sie kann nicht Auto fahren, und er muss bis um acht in der Schule sein. Du kannst ihn ab sieben in der Kernzeitbetreuung lassen.«
Und was geht mich das an? »Ich habe kein Auto, Purvi. Ich habe alles eingelagert, bis ich aus Taiwan wieder zurückkommen sollte. Meine Wohnung wird doch verkauft, weißt du noch?«
Sie sieht mich stirnrunzelnd an. Ich verwirre sie mit meinen Belanglosigkeiten. Ich sollte einfach ins Büro ziehen, und alles wäre erledigt - billige Miete und eine Chefin, der ich dann jederzeit zur Verfügung stehen
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