LIEBES LEBEN
finden. Alle ziehen um, arbeiten, haben einen vollen Terminkalender, in dem kein Platz mehr für gute Freunde ist. Aber auf Brea konnte ich mich bisher immer verlassen. Bis sie geheiratet hat. Ab da war ich auch nur noch eine einsame Insel irgendwo in der Bucht von San Francisco.
23
Die drei Frauen sitzen an die Blumentapete gelehnt da und starren mit offenem Mund, als seien sie zum ersten Mal in einem Ballett. Ihre Gesichter verraten ihre Bewunderung und Ehrfurcht. Ashley Stockingdale wirbelt in den Armen von Dr. Kevin Novak in einem bodenlangen, rückenfreien Donna-Karan-Kleid, das sich elegant an ihren wohlgeformten Körper schmiegt, über die Tanzfläche. Ihr dunkelbraunes Haar, das wieder zu voller Länge gewachsen ist, umrahmt in einer perfekten Steckfrisur ihr Gesicht, und ihr leuchtend roter Lippenstift hebt sich gut von ihrem alabasterfarbenen Teint ab. Dem attraktiven Paar beim Tanzen zuzusehen ist wie das Lied »Kann es wirklich Liebe sein« in Der König der Löwen zu hören.
»Es scheint fast, als schwebe sie«, meint Kay seufzend.
»Man kann ihre Schuhe zwar unter diesem Kleid nicht sehen, aber ich wette, sie sind von Manolo Blahnik«, fügt Arin hinzu.
»Gibt es daran etwas zu zweifeln?«, fragt Brea verächtlich.
»Brea, du kennst Ashley nun schon seit zwanzig Jahren. Weshalb ist sie so anders?«, fragt Kay.
»Ashley hatte schon immer etwas Besonderes an sich, etwas, von dem man sich wünschte, dass man nur ein kleines Stück davon selbst hätte. Manche mögen es Charisma oder Charme nennen, aber ich glaube, es ist ihre Aura. Ashley hat eine ganz besondere Ausstrahlung.«
»So wie einen Heiligenschein?«, fragt Arin mit großen Augen.
»Ja, so ähnlich. Wie ein Heiligenschein«, meint Brea nickend.
»Ashley, das ist keine Brautkrone. Es ist ein traditionelles hinduistisches Amulett. Würde es dir etwas ausmachen, es von deinem Kopf zu nehmen?«
Ich fahre hoch, wie ein armer Soldat, der vom Alarm geweckt wird. »Tut mir leid, Purvi, ich hatte nur gerade ...« Was hatte ich gerade? Vor mich hin geträumt mit einem Götzenanhänger auf meinem Kopf. Und wie erklärt man das? Manchmal mache ich mir wirklich Sorgen, was für ein Bild ich als Christ abgebe. Ich glaube, ich wirke eher wie eine Neurotikerin.
»Ashley«, Purvi hängt schon ganz schlapp an der Autotüre, »ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen.« Sie wartet, bis ich ausgestiegen bin.
»Es tut mir so leid, Purvi. Ich weiß, dass du hart gearbeitet hast. Ich hoffe, du kannst dich heute richtig ausruhen. Dein Sohn hat es sich fröhlich in der Schule bequem gemacht. Ich kann ihn auch wieder abholen, wenn du willst.«
»Danke, aber ich hole ihn selbst ab. Es tut mir leid wegen heute morgen, aber meine Schwiegermutter hat einen Star und kann nicht Auto fahren. Und meine Nachbarn sind verreist.«
»Kein Problem, Purvi.« Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich gejammert habe. Sie hat die ganze Nacht hindurch gearbeitet, statt mich zu holen. Normalerweise lässt der Chef seine Mitarbeiter die ganze Nacht arbeiten und geht nach Hause, um sich Fear Factor oder etwas Ähnliches anzuschauen. Aber nicht Purvi. Sie ist einzigartig. Ich hole meinen leeren Becher aus ihrem Auto und verabschiede mich.
Meine erste Aktion heute wird sein, mein Auto ausfindig zu machen. Irgendwie fühle ich mich nackt ohne Auto. Möge ich in meinem ganzen Leben nie wieder eine Limousine fahren müssen.
Ich wähle Seths Nummer und bin immer noch verstimmt darüber, wie schnell er mich dem »Onkel Doktor« überlassen hat. Offensichtlich habe ich ihm weniger als gar nichts bedeutet, und so haue ich auf die letzte Taste.
»Ashley, was treibst du? Das ist deine Büronummer auf meinem Display. Fliegst du später?«
»Ich fliege nicht nach Taiwan. Jedenfalls nicht diese Woche. Purvi kämpft mit dem Reich des Bösen, und das hat im Augenblick Vorrang.«
»Tut mir leid, das zu hören.« Und es tut ihm wirklich leid. Alle im Silicon Valley sind traurig, wenn sie erfahren, dass das Reich des Bösen stärker wird. Es tut allen weh, ganz besonders den Endverbrauchern, die dann ein schlechteres Produkt bekommen. Aber scheinbar habe ich an diesem Punkt meine eigene Ansicht.
»Steht mein Auto immer noch vor meiner Wohnung?«, frage ich zögernd. Aber es ist, als fragte man, Wo ist mein Kind? Ich vermisse meinen kleinen Cabrio, auch wenn ich nie offen fahre oder sportlich darin aussehe. Ich sehne mich nach seinen geschmeidigen Ledersitzen ... und der Möglichkeit,
Weitere Kostenlose Bücher