Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
Vom Netzwerk:
sinngemäße Übersetzung ist mir gelungen.
    Sie war schon eine eigenartige Frau, ihre langen blonden Haare fielen ihr vorne auf die Schultern, hinten hatte sie sie mit
     messingfarbenen Nadeln zu einer Knotenknolle hochgesteckt, und wann immer sie sprach, warfen sich ihre Lippen leicht auf,
     und ich sah Lippenstift an ihren Zähnen. Deutsch war ihre Muttersprache, war es doch nicht, ich hatte es nicht richtig verstanden,
     vorhin, bei ihren Vorstellungsworten auf offener Straße, hatte ich nur darauf geachtet, ob sie wirklich jene biedere vertrauenswürdige
     Person war, als die sie mir die Hotelrezeptionistin geschildert hatte. Sie war eindeutig keine Frau, der ein mißtrauischer
     Tourist vertraute, sie sah aus wie eine bleiche Stummfilmpianistin, bei der Begrüßung hatte ich ihr die Hand gereicht, sie
     hatte eingeschlagen und mir sofort die Hand wieder entzogen. Jetzt nestelte sie an einer Mappe mit Ziehharmonikafalz, vielleicht
     befanden sich darin Blätter, auf denen sie Touren skizziert hatte, ich war ja nichts anderes als ein Mann, der hergereist
     war, um alles anzustarren, bestimmt sah sie in mir eben diesen Typ von Mann ohne rechte Lust, sich länger als nötig mit diesem
     Ansichtskartenstädtchen zu befassen. Sie steckte in einem dunkelgrauen Rock mit Faltensaum, ihre weiße Bluse war bis zum Kragen
     hochgeknöpft, und über den Sonnenbrillengläsern wölbten sich gezupfte Brauen. Sie |178| roch nach Puder. Sie achtete auf eine halbe Armeslänge Abstand zwischen uns beiden, um jedes Mißverständnis auszuräumen: Es
     war mein Geld und es waren ihre Tschechischkenntnisse, die uns zusammengeführt hatten, nur wegen dieses Geschäftsverhältnisses
     spazierten wir gemeinsam durch die Straßen Prags. Für drei Tage war sie meine Übersetzerin, und für einen geringen Aufpreis
     wollte sie mir schöne Plätze in dieser Stadt zeigen – kein Totentourismus, hatte ich gesagt, ich will nicht den Spuren eines
     Dichters folgen, und ich will auch keine verfallenen Friedhöfe besuchen, das alles interessiert mich kein bißchen, seien Sie
     einfach nur mein Blindenhund, bitte. Sie war wohl daran gewöhnt, daß ihre Kunden seltsame Wünsche äußerten, und ich bildete
     in ihren Augen keine Ausnahme, ich war zum ersten Mal in meinem Leben in Prag, der Ostblock war zerfallen, und neue Staaten
     waren entstanden, früher sprach man von der Tschechoslowakei, jetzt von Tschechien, das Wort war in der Mitte gebrochen worden,
     mehr mußte ich nicht wissen. Auch den Namen meiner Übersetzerin mußte ich nicht wirklich behalten, sie war hell und ich war
     dunkel, und wir gingen nebeneinander wie ein zerstrittenes Paar, wie Eheleute ohne die Hoffnung auf eine baldige Versöhnung.
     Ich hatte sie auch gebeten, einen großen Bogen um geschlossene Räume zu machen, in denen man konservierte Kultur bewundern
     konnte, keine Kunst, keine Geschichte, kein Theater. Sie war zusammengezuckt, und ich hatte nicht nachgehakt.
    Sind Sie Geschäftsmann? sagte sie.
    Ich war einer, sagte ich.
    Rentner?
    Ja, das gefällt mir, sagte ich, ich bin ein junger Rentner.
    Machen Sie sich über mich lustig?
    |179| Nein.
    Sie wollen nicht wissen, was ich mache?
    Ich denke, Sie sind Übersetzerin, sagte ich.
    In der Hauptsache bin ich Schauspielerin, sagte sie und trat nach einem Stöckchen.
    Jetzt wäre es an mir gewesen, das Eis zu brechen, sie nach ihrer Arbeit zu fragen, doch ich blieb stumm und starrte zwei Männer
     an, die im Gehen ihre Krawatten lockerten. Sie behielten ihre kleinen Wunder für sich, ihre Verstörungen, die heilenden Vorfälle,
     bei denen sie sich auf die Lippen gebissen hatten. Unvertraut war ich ihnen, und wären sie Frauen gewesen, hätten sie mir
     gegenüber jegliche Zurückhaltung abgelegt, weil ich der war, der ich war, nämlich ein Durchreisender, der sich abends in sein
     Hotelzimmer zurückzog und am Fenster stand, die Lamellen der Jalousie in Augenhöhe auseinanderknickte und komisch wurde, weil
     er auf leere Straßen herunterstarrte. Sie hielten den Mund, die Männer, sie lebten und lebten, und das war die Hauptsache.
     Ich mußte schneller werden, ich mußte aufhören, in alle Richtungen zu spähen, es kam vielleicht noch, und als wollte ich es
     gleich umsetzen, begann ich größere Schritte zu machen, sie paßte sich nicht an, ich wurde ungeduldig und drehte mich nach
     ihr um.
    Was ist, sind Sie fußlahm?
    Haben Sie es eilig? sagte sie seelenruhig.
    Ich hasse es, zu schlendern. Der nächste Hagelschlag

Weitere Kostenlose Bücher