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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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langmütiger Kumpel, und Emily war für immer die pubertierende Naive, die launische Tochter, deren Leben von allen anderen (anscheinend) zunichte gemacht wurde. Gloria befand sich nicht auf der Bühne, sie spielte die Frau in der Küche. Am ersten Weihnachtsfeiertag holten sie Grahams Mutter, Beryl, im Rollstuhl, und sie saß sabbernd auf dem Sofa. Eine Komparsin ohne Text.
    »Du hast eine klassische passiv-aggressive Persönlichkeit«, hatte Emily sie angezischt, als Gloria den Truthahn begoss. Gloria wusste nicht genau, was eine passiv-aggressive Persönlichkeit war, klassisch oder sonst wie, aber sie war eindeutig nicht nach Emilys Geschmack.
    »Du bist immer so
nett
zu allen«, sagte Emily.
    »Ist das schlecht?«, fragte Gloria.
    Emily tat so, als hätte Gloria nichts gesagt, und knallte die Terrine mit den Bratkartoffeln auf die Theke. »Aber tief in deinem Innern bist du
wütend
. Und weißt du, was ich neulich begriffen habe?« Emily ging jeden Mittwochnachmittag in Basingstoke zu einer Art Therapie bei einem Mann namens Bryce, der ihr Gehirn »zu positiveren Denkmustern umprogrammierte«.
    »Nein, was hast du begriffen?«, sagte Gloria und fragte sich, ob sie selbst Emilys Gehirn nicht wesentlich schneller und billiger als jemand namens Bryce umprogrammieren könnte, wenn sie ihrer Tochter die Schöpfkelle auf den Kopf schlug.
    »Ich habe begriffen, dass ich mein Leben lang nicht ich selbst war.«
    »Wer warst du dann?« Gloria wusste, dass sie mitfühlender hätte sein sollen, aber sie konnte es nicht.
    »Ah, sehr schlau, Mutter. Ich habe meine Energie nicht darauf verwandt,
ich
zu sein, weil mein Leben von der Angst geprägt war, so zu werden wie
du.«
    Gloria betrachtete sich überhaupt nicht als nette Person, ganz im Gegenteil, doch sie nahm an, dass diese Dinge relativ waren; neben Emily waren eh die meisten anderen Heilige.
    Emily bereitete nur eine Vorspeise aus Feigen und Parmaschinken für das Weihnachtsessen zu. Sie kaufte die Feigen und den Schinken bei Harvey Nichols’, legte das rote Zeug auf einen Teller und kündigte es mit zündenden Worten an,
Zur Abwechslung gibt es mal was richtig Gutes,
bevor sie es anschließend selbst über den grünen Klee lobte,
War das nicht großartig? Ist es nicht nett, mal was anderes zu essen?
Als Emily die Platte mit der Vorspeise auf den Tisch stellte, fügte sie mit nahezu manischer Fröhlichkeit eine Warnung hinzu, die sie insbesondere an Nick richtete: »Also, Liebling, wage ja nicht, eine Kritik anzubringen.« Emily hatte an der Goldsmiths’ einen M. A. in Literatur gemacht und redete deswegen so. Auch über Essen. Sie »kam mit Nick nicht gut aus«, hatte sie Gloria in der Küche anvertraut, sie dachte sogar an eine »Trennung auf Probe«. Entsetzen überkam Gloria bei dem Gedanken, dass Emily womöglich wieder zu Hause einzog.
    »In guten wie in schlechten Zeiten«, sagte Gloria, und Emily erwiderte: »Was – so wie du und Dad? Man bleibt zusammen, auch wenn man sich nicht mehr ausstehen kann?« Kinder waren nicht notwendigerweise eine gute Sache.
    Wenn sie gewusst hätten, dass es das letzte Weihnachten ihres korrupten, ehebrecherischen, betrügerischen Paterfamilias war, hätten sie dann etwas anders gemacht? Gloria hätte eine Gans statt eines Truthahns braten können, er mochte Gans, aber sie wäre wahrscheinlich nicht bereit gewesen, noch weiter zu gehen.
     
    Gloria saß auf dem pfirsichfarbenen Damastsofa in dem pfirsichfarbenen Wohnzimmer, trank Tee und aß das Sandwich, das sie in der Stadt gekauft hatte. Das Sandwich war belegt mit Mozzarella, Avocado und Rucola. Keine dieser Zutaten hatte Platz in dem Museum, das Glorias Vergangenheit war. Gloria konnte sich noch an eine Zeit erinnern, als es nur Kopfsalat zu kaufen gab. Weichen, schlaffen Kopfsalat, der nach nichts schmeckte. Englischen Kopfsalat. Sie konnte sich an eine Zeit vor Mozzarella und Avocados erinnern, vor Auberginen und Zucchini. Sie konnte sich daran erinnern, wie sie den ersten Joghurt gesehen hatte in dem Eckladen in der Stadt im Norden, die ihre Heimatstadt war und bleiben würde, obwohl sie seit zwanzig Jahren nicht mehr dort war.
    Sie konnte sich an eine Zeit erinnern, als es noch kein Fast Food, keine thailändischen Restaurants gegeben hatte, als Vesta-Packet-Currys geradezu exotisch gewesen waren. Eine Zeit, als Essen aus Heringen, Hackfleisch und Frühstücksfleisch bestand. Sie hatte Emily gegenüber einmal erwähnt, dass sie sich an eine Zeit vor Auberginen

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