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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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kapitalistischen Verschwörung« spielte. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, Geld von Graham anzunehmen, wann immer er nach Hause kam. Ewan war von Anfang an eine Enttäuschung für Graham gewesen, weil er sich nie für die Grundsätze der schottischen Religion interessiert hatte – Alkohol, Fußball, sich ungerecht behandelt fühlen –, die das Rückgrat von Grahams Glauben bildeten. Graham war gerade dabei gewesen, sich einen lebenslangen Traum zu erfüllen – eine Fußballmannschaft der Premier League zu kaufen –, als ihn gestern das Schicksal einholte. Er hatte die nicht unterschriebenen Verträge in seiner Aktentasche dabei, als er unter Tatiana zusammenbrach.
    Als Ewan erklärte, er sei Mitglied der Grünen Partei, lautete der Kommentar seines Vaters: »Du kleiner einfältiger Idiot.«
    Emily hatte keinerlei Prinzipien, wenn es um das Geld ihres Vaters ging. Natürlich hätte Graham sie zu seiner Nachfolgerin heranziehen sollen, sie hätte eine ausgezeichnete kapitalistische Profitjägerin abgegeben.
    Emily war ein süßes Kind gewesen, liebenswürdig und licht, ein Kind, das Gloria und alles, was sie tat, anbetete. Und eines Tages erwachte Emily, sie war dreizehn, und seitdem war sie dreizehn geblieben, soweit Gloria es beurteilen konnte. Sie war jetzt siebenunddreißig, verheiratet, ein Kind, aber die Mutterschaft hatte ihre Veranlagung zur Miesepetrigkeit nur verstärkt. Sie lebte in Basingstoke mit ihrem Mann Nick (»ein IT -Projektentwicklungsmanager« – was sollte das sein?) und verbrachte viel Zeit damit, Ressentiments zu kultivieren.
    An Weihnachten hatten Ewan und Emily hauptsächlich darüber gesprochen, wie sehr sich ihre Welt verändert, entwickelt, erweitert hatte, aber sie erwarteten ein Jahr ums andere, dass Gloria dieselbe blieb. Wenn sie etwas Neues erwähnte – »Ich gehe jetzt in ein Fitnessstudio« (Sie hatte es mit dem Kurs Flotte Fünfziger versucht und versagt. Darauf folgte Sensationelle Sechziger. Nach sechzig war Schluss) oder »Ich würde gern französische Konversation im Französischen Kulturinstitut machen« –, reagierten sie immer gleich: »Oh,
Mutter.«
In einem genervten Tonfall, als wäre sie ein besonders dummes Kind.
    Am Heiligen Abend, als Graham noch ein vollfunktionierendes Mitglied der Familie und kein im Raum schwebender Astronaut war, hatte sie in der Küche gestanden und das Schokoladenscheit gemacht. Am ersten Weihnachtsfeiertag gab es neben dem Weihnachtspudding immer ein Schokoladenscheit zum Nachtisch. Gloria rührte die Rouladenmischung, kein Mehl, nur Eier und Zucker und viel teure Schokolade, und nach dem Backen rollte sie den Teig, bestrichen mit geschlagener Sahne, vermischt mit Maronenpüree, zu einer Roulade und verzierte diese mit Schokoladenbuttercreme, stach kleine Löcher hinein und zog Linien, damit es wie Holz aussah, und streute dann Schnee aus Puderzucker darüber. Zuletzt schnitt sie im Garten Efeuranken ab, überzog sie mit Eiweiß und Zucker und wand sie um das Scheit, bevor sie ein Rotkehlchen aus Plastik daraufsteckte. Es sah wunderschön aus, wie etwas aus einem Märchen, und wäre sie noch bei den Weight Watchers gewesen, sie hätte alle Punkte für ein ganzes Jahr aufgebraucht.
    Wenn es darum ging, den Kuchen zu essen, sagte Ewan (denn sie waren wie Schauspieler in einem unveränderlichen Stück): »Ich will nichts von dem Zeug, nur den Weihnachtspudding«, und Emily sagte: »Oh, Gott, Mutter, das ist Gift für den Körper«, und jetzt, da sie Xanthia hatte, fügte sie drohend hinzu: »Und gib Xanthia ja nichts davon«, denn natürlich war die einjährige Xanthia, soweit Gloria es beurteilen konnte, mit
Hirse
entwöhnt worden, und dann sagte Graham unweigerlich: »Ich weiß nicht, warum du diese Scheiße machst, niemand isst das Zeug«, und Gloria sagte: »Ich esse es«, und sie schnitt sich eine dicke Scheibe davon ab. Und aß sie. Und jeden Tag danach holte sie das Schokoladenscheit aus dem Kühlschrank und schnitt sich eine weitere dicke Scheibe ab, bis nur noch das Stück mit dem Rotkehlchen übrig war, und das legte sie hinaus für die Eichhörnchen und Vögel, ohne das Rotkehlchen natürlich, damit es nicht versehentlich von einem Eichhörnchen gefressen wurde. Oder ein anderes Rotkehlchen es angriff, weil es glaubte, es wäre ein gelähmter Miniatureindringling in sein Territorium.
    Ihre Rollen waren festgelegt – Graham war der Bösewicht, Ewan spielte würdig den Anführer, Schwiegersohn Nick war sein

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