Liebesdienste / Roman
Gloria hin und wieder gefragt, ob Graham mit Christine Tennant geschlafen hatte. Sie war jetzt schließlich zehn Jahre bei ihm und schien noch immer unnatürlich verliebt in ihn. Eigentlich konnte doch nur eine Frau, die unter einer unerwiderten Leidenschaft litt, Graham so zugetan bleiben, oder? Andererseits war Graham ein wandelndes Klischee und würde deswegen natürlich mit seiner Sekretärin schlafen. Das wäre eine gute Inschrift für seinen Grabstein.
Graham Hatter – ein wandelndes Klischee.
Wenn man verbrannt wurde, bekam man keinen Grabstein. Man bekam nichts, eine Inschrift, in den Wind und aufs Wasser geschrieben.
Wenn jemand vermisst wurde, rief man als Erstes die Krankenhäuser an, das wusste jeder, aber auf diese Idee schien keiner der Menschen zu kommen, die Graham unbedingt zu fassen kriegen wollten. Die ganze Zeit lag er auf seinem Katafalk in der Intensivstation, verborgen vor aller Augen, und wartete darauf, gefunden zu werden.
Gloria sah etwas, ein Flimmern zwischen den Rhododendronbüschen, ein Aufblitzen von etwas, was das Licht reflektierte. Sie griff nach ihrem Fernglas, das immer zur Hand war, um Vögel zu beobachten. Sie brauchte eine Weile, um es einzustellen, aber dann sah sie die glänzenden grünen Blätter plötzlich scharf, dazwischen ein Gesicht, ovidisch im Grün. Das Gesicht verschwand zwischen dem Laub. Jedenfalls war sie jetzt sicher, dass es weder ein Bär noch ein Pferd war. Und auch keine Frau, die sich in einen Baum verwandelt hatte oder umgekehrt. Gloria ging in den Garten, in ihrem Schlepptau flatterten Spatzen auf, aber als sie beim Rhododendron anlangte, fand sie keinen Eindringling, sondern nur Bill, der diskret im Gebüsch pinkelte.
Die elektronisch gesteuerten Tore schwangen auf, um Glorias roten Golf hinauszulassen. Sie hatte immer das Gefühl, dass sie von einem Tatort flüchtete, wenn sie durch das Tor fuhr. In der George Street bescherten ihr die Park-Götter einen Platz vor Gray’s, wo sie Heizkörper-Schraubenschlüssel und einen Fleckenteufel (für Kaugummi, Klebstoff und Nagellack) kaufte, bevor sie sich zur Royal Bank an der Ecke Castle Street schleppte, um ihre fünfhundert Pfund Bargeld für diesen Tag abzuheben.
Als sie zurückkehrte, räumte Bill gerade die Geräte in den Kofferraum seines Wagens. Obwohl im Schuppen alle nur erdenklichen Gartenwerkzeuge standen, brachte Bill immer seine eigenen mit, manche davon so alt, dass sie in einem landwirtschaftlichen Museum hätten ausgestellt werden sollen.
»Also«, sagte er lakonisch, »ich gehe jetzt.«
Gloria nahm an, dass er gefahren wäre, ohne sich zu verabschieden, wenn sie nicht gerade zurückgekommen wäre. Fünf Jahre und mehr als ein »Ich gehe jetzt« hatte er für sie nicht übrig. Grahams letzte Worte für sie hatten ähnlich gelautet. Sie versuchte sich zu erinnern, was er gestern Morgen zu ihr gesagt hatte.
Ich komme wahrscheinlich spät
– nichts Neues, irgendwas über
die verdammten Betrugsbullen,
und:
Ich bin jetzt weg
. Wie vorausschauend von ihm.
Sie sollte Bill ein Abschiedsgeschenk machen; sie hätte in der Stadt etwas kaufen sollen, aber sie hatte nicht daran gedacht. Sie könnte ihm Geld geben, doch Geld war so unpersönlich. Schon in jungem Alter hatten Ewan und Emily an Weihnachten und Geburtstagen um Geldgeschenke gebeten. Gloria schenkte gern, aber nicht Geld. Geld war wichtig, aber es war nicht
persönlich
. Es war Geschäft.
Bill schlug den Kofferraumdeckel zu, und sie sagte: »Nein, einen Augenblick noch«, und lief ins Haus, um etwas Geeignetes zu suchen. Schwer zu sagen, was einem so wortkargen Mann gefallen könnte. Sie zog ein Paar niedlicher Staffordshire-Dalmatiner in Betracht, die keck auf königsblauen Kissen saßen – er sah aus wie ein Mann, der Hunde mochte –, oder vielleicht die hübsche Moorcroft-Vase aus limitierter Edition? Dann fiel ihr ein, dass er eines Tages vor der Terrassentür gestanden hatte – in fünf Jahren war er nicht einmal über die Schwelle getreten – und den gestellten Hirsch bewundert hatte. Sie nahm das Bild von der Wand, das viel schwerer war als erwartet, und trug es hinaus zu Bill.
Er nahm es nur widerstrebend an. »Das ist eine Menge wert, Mrs. Hatter«, murmelte er schüchtern.
»So viel auch wieder nicht«, sagte Gloria. »Na los, nehmen Sie es, Gott gibt nicht mit beiden Händen.« Sie dachte an Bills Frau mit dem Schwammhirn. Manchmal schien Gott mit der einen Hand ein wenig zu geben und mit der anderen viel
Weitere Kostenlose Bücher