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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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wäre superlativisch tot. Gloria hatte ihr ganzes Leben gebraucht, um zu begreifen, dass sie Graham auf den Tod nicht ausstehen konnte.
    Es rauchte mehr, als dass es brannte, deswegen warf sie einen Anzünder auf den Grill und sah zu, wie die grünen und blauen Zungen an dem mit Strass bestickten Bolerojäckchen von Jacques Vert zu lecken begannen. Mineral zu Mineral, Staub zu Staub. Die Kleider verbrannten nicht zu der weichen, pulvrigen Asche, die sie sich vorgestellt hatte.
    Das elektronische Tor wurde mehrmals geöffnet und wieder geschlossen. Hätte sie nicht gewusst, dass der Mann von der Sicherheitsfirma die Anlage im Keller überprüfte, hätte sie geglaubt, dass eine Schar Unsichtbarer langsam auf das Anwesen geschleust wurde.
    Sie beobachtete, wie eine Drossel einen elastischen Wurm aus dem Rasen zog. Vögel (abgesehen von Elstern) waren eine gute Sache. Auch wenn sie andere Lebewesen umbrachten. Die Vögel fraßen die Würmer, die Würmer würden vielleicht bald Graham fressen. Graham hatte Vögel gegessen (Hühner, Truthähne, Enten, Fasane, Rebhühner, Moorhühner), und so würde sich der Kreis des Lebens wieder schließen. Da Grahams autoritäres Regime unerwartet suspendiert war, aß Glorias nichts mehr, was atmete. Graham hatte immer wieder den Wunsch geäußert, eingeäschert zu werden, aber Gloria empfand es als Schande, all den kleinen fleißigen Geschöpfen eine gute Mahlzeit vorzuenthalten.
    Die Strafe sollte dem Verbrechen entsprechen. Sie hatte im King’s letztes Jahr eine besonders aufrüttelnde Amateurproduktion von
The Mikado
gesehen. Sie mochte die Operetten von Gilbert und Sullivan, zumindest die bekannteren. Manche Dinge lagen auf der Hand – ein Mensch, der einen Hund zu Tode trat, sollte selbst zu Tode getreten werden, vorzugsweise von Hunden, aber das war nicht wirklich möglich, die Anatomie der Hunde war nicht zum Treten geeignet. Was viel über Hunde verriet, wenn man darüber nachdachte. Gloria würde das Treten gern selbst übernehmen, wenn nötig. Aber was wäre die angemessene Strafe für Graham?
    Vielleicht sollte man ihn zwingen, den ganzen Tag in einem muffigen, fensterlosen Büro zu sitzen (oder, besser noch, zu stehen wie ein viktorianischer Buchhalter), endlose Papierstapel abzuarbeiten – Versicherungsansprüche, Mehrwertsteuererklärungen, Einkommenssteuererklärungen, Bände mit doppelter Buchführung – und alles mit der Hand sauber und wahrheitsgemäß einzutragen. Oder besser noch, er müsste für den Rest seines Lebens Tag und Nacht stehen und das Geld anderer Leute zählen, ohne auch nur einen Farthing selbst einstecken zu dürfen. Gloria vermisste die Farthings, die winzige Münze mit dem winzigen Vogel darauf.
    Sie stocherte noch einmal im Grill. Vielleicht sollte sie Graham doch einäschern lassen, nur um ganz sicher zu sein, dass er nicht mehr zurückkäme.
    In der Zeitung (sie musste die Zeitungen abbestellen, sie waren nicht gesund) stand ein Artikel über einen Fall vor Gericht – ein Teenager war in ein Altersheim eingebrochen und hatte Brieftaschen, Geldbörsen und Uhren aus den Zimmern gestohlen, und dann hatte er den Wellensittich einer alten Frau aus dem Käfig genommen, ihn mehrmals mit Tesafilm umwickelt und aus dem Fenster geworfen – im fünften Stock. Und so etwas nannte sich Zivilisation! Wie befriedigend es doch wäre, diesen Teenager mit Tesafilm zu umwickeln und
ihn
aus dem Fenster im fünften Stock zu werfen. Gab es denn niemanden in der Welt, der für Gerechtigkeit sorgte? Sollten die Rowdys und die Elstern und die Grahams und die kätzchenfressenden Männer und sittichmordenden Teenager
wirklich ungestraft davonkommen?
     
    Oben in ihrem Schlafzimmer schob Gloria den schwarzen Plastiksack mit den Zwanzig-Pfund-Scheinen in ihrem Kleiderschrank beiseite und holte einen kaum getragenen »Hausanzug« aus rotem Velours heraus. Sie hatte ihn ganz hinten hineingestopft, nachdem Graham ihn entsetzlich gefunden und gemeint hatte, sie sehe darin aus wie eine riesige Tomate. Sie betrachtete sich in den großen Spiegeln des Einbauschranks. Es stimmte, sie sah ein bisschen wie eine Tomate aus, und ihr Arsch war enorm darin, aber der Hausanzug fiel locker über ihren matronenhaften Busen und Echsenbauch, und er war bequem und ziemlich flott, ein Anzug, wie ihn eine sportliche Weihnachtsfrau getragen hätte. Graham hatte nie gemocht, wenn sie Worte wie »Arsch« benutzte, er meinte, Frauen sollten »damenhaft« klingen wie seine eigene Mutter.

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