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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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zusätzlich fiel Licht durch die Lücken zwischen den Dachschindeln. Louise war ziemlich sicher, dass zwischen den Schindeln keine Lücken sein sollten. Es war kein richtiges Dachgeschoss, nur ein Speicherraum mit einem Boden aus rohen Brettern und ohne Strom, in dem sich der Wassertank befand. Ein Elektrokabel schlängelte sich über den Boden, statt unsichtbar unter Putz verlegt zu sein, die Ummantelung aus Plastik war teilweise abgenagt, und Drähte lagen bloß. Die Dachsparren und -balken waren roh und splittrig, und nirgendwo war etwas isoliert. Louise fragte sich, ob es den Vorschriften entsprach, neue Häuser ohne Isolierung zu bauen. Der Speicher schien den Eindruck des dauerhaft Unfertigen zu verstärken, den das Haus machte.
    In einer Ecke bewegte sich etwas, klein und flink, ein graues Büschel Schweif, und dann war es verschwunden durch das winzige Loch, wo das Regenfallrohr auf den Überhang über dem Wohnzimmer stieß. Ein Eichhörnchen.
    Louise suchte mit der Taschenlampe die Wände ab. Sie fand das Fluchtloch des Eichhörnchens – eine Spalte, wo ein Klumpen Zement aus der Mauer gefallen sein musste oder (wahrscheinlicher, wenn man Hatter-Häuser kannte) nie Zement gewesen war. Sie ließ den Lichtkegel über die Giebelmauer schweifen, eine Archäologin, die das Grab eines Pharaos öffnete, und runzelte die Stirn, als sie einen Riss im Verputz sah, der im Zickzack die Mauer hinunterlief. Den konnte man nicht den Eichhörnchen in die Schuhe schieben.
    Sie stieg durch die Luke zurück und über die schmale Leiter wieder hinunter. Als sie auf der untersten Stufe stand, fuhr sie fast aus der Haut, als eine Hand ihren nackten Arm berührte. Hamish hielt ihr einen Becher mit Kaffee hin, ganz der hilfreiche Butler, nur dass er außer Boxershorts nichts anhatte. Gut gebaut für sein Alter. Plötzlich war sie sich des kurzen alten T-Shirts bewusst, in dem sie geschlafen hatte. Der kleine Scheißkerl hatte die ganze Zeit, die sie die Treppen hinuntergestiegen war, hinaufgeschaut.
    »Mit Milch, ohne Zucker, Louise«, sagte er. »Ich dachte, Sie sehen aus wie jemand, der auf seine Figur achtet.« Sie überlegte kurz, ihm einen zu versetzen, aber sie wollte den Kaffee nicht im Flur verschütten oder von seinem Bankerpapa angezeigt werden, ein Arschloch, das Louise auf dem Elternabend kennengelernt hatte. Kein Zufall, dass Banker als die größten Wichser galten.
    »Danke«, sagte sie und nahm den Kaffee. »Du machst dich besser fertig, Hamish, oder du kommst zu spät in die Schule.« Sie betonte das Wort »Schule«, nur um ihn daran zu erinnern, dass er tatsächlich, technisch gesehen, noch ein
Kind
war. Sie wollte eine Spur von Demütigung auf seinen glatten, bourgeoisen Zügen sehen, aber stattdessen sagte er: »Meine Güte, Louise, Sie müssten dringend mal chillen.«
     
    Louise zog aus der Form geratene Sportsachen an und ging hinaus auf die Straße. Sie war noch immer wütend auf Hamish – der jetzt Frühstück machte in ihrer Küche, als wäre er zu Hause. Der Kaffee war allerdings erstaunlich gut. Archie hatte keine Ahnung vom Kaffeekochen, außer es war Instantkaffee. Louise fragte sich, ob Hamish auch für seine Mutter Kaffee kochte. Es musste schön sein, jemanden zu haben, der etwas für einen tat. Vielleicht war er bei sich zu Hause so asozial und unerträglich wie Archie, und umgekehrt, wenn Archie bei Hamish war, führte er sich vielleicht auf wie der kleine Lord Fauntleroy und sagte zu Hamishs Mutter: »Darf ich Ihnen noch mehr Tee bringen, Mrs. Sanders?« Nein, die Phantasie ging mit ihr durch.
    Sie stellte sich auf den Gehweg auf der anderen Straßenseite und trank ihren Kaffee, während sie die Front ihres Hauses nach Mängeln absuchte.
    Irgendwo im Haus begann ihr Handy zu klingeln.
    »Das ist ein ganz schöner Riss«, sagte eine Stimme. Sie wandte sich um und sah, dass ihr Nachbar gerade sein Auto aufschloss. Er machte eine Kopfbewegung in Richtung ihrer Haustür und setzte sich auf den Fahrersitz, während seine Familie einstieg. Louise trat geschmeidig ein paar Schritte zur Seite, blickte nach oben und sah die Krähenfüße eines Risses in der Mauer über dem Eingang.
Ich huste, und ich pruste, und ich puste dein Haus weg.
In der Geschichte konnte der große böse Wolf das Ziegelhaus, das Schweinchen Schlau gebaut hatte, nicht wegpusten. Leider hatte kein Schweinchen Schlau Louises Haus gebaut, sondern der große böse Wolf Graham Hatter. Was hatte Jessica gesagt?
Das Schiff sinkt oder

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