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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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.
    »Scheiße«, sagte sie.
    Der Nachbar zuckte zusammen. Er war irgendein Christ, auf seinem Auto klebte so ein Fisch, und er erwartete offenbar etwas Besseres von der Polizei. Werktags fuhr er seine Kinder in die Schule, samstags zum Schwimmen und sonntags in die Kirche. Herr Spießer. Die Bilderbuch-Familie. Sie hasste sie. »Scheiße«, wiederholte sie, damit er noch einmal zusammenzuckte. »Scheiße, Scheiße, Scheiße.« Er rauschte in einer Wolke der Missbilligung davon.
    Hamish tauchte in der Tür auf und hielt ihr das Telefon hin. »Ein Herr für Sie«, sagte er. Manchmal verhielt er sich wirklich tuntenhaft, vielleicht war er doch nicht der geile Hetero, der er vorgab zu sein. Würde sie zu ihren Kollegen in Corstorphine sagen können:
Mein Sohn ist schwul?
Sag es laut und sag es stolz. Dieses Gespräch konnte sie sich einfach nicht vorstellen. Vierzehn, erinnerte sie sich, sie waren noch Kinder, sie hatten keine Ahnung, wer oder was sie waren. Sie lief über die Straße und riss Hamish das Handy aus der Hand.
    »Ja«, sagte Louise scharf, und es tat ihr sofort leid, weil es Jackson Brodie war, und dann war sie noch unhöflicher zu ihm, bestrafte ihn, weil sie sich über den Klang seiner Stimme gefreut hatte.
    »Ich habe mich gerade gefragt«, sagte er, »ob Ihnen der Ausdruck ›reelle Häuser für reelle Menschen‹ etwas sagt.«
    »Was?«
    »Reelle Häuser für …«
    »Ich habe Sie gehört. Sie schnüffeln doch nicht immer noch herum, oder? ›Reelle Häuser für reelle Menschen‹ ist der Slogan von Hatter-Häuser. Ihr Hauptquartier ist in Edinburgh, es ist immer noch ein Familienunternehmen. Graham Hatter ist ein schottischer Bonze, Millionär, Geschäftsmann und so weiter. Ich wohne in einem Hatter-Haus. Es ist ein Haufen Scheiße. Eichhörnchen fressen es auf.«
     
    Sie wartete, bis Archie und Hamish im Wohnzimmer lagen und MTV zum Frühstück schauten und alles vergessen hatten, was nicht zu ihrer kleinen dummen Welt gehörte, bevor sie in Archies Zimmer schlich. Sie tippte auf die Leertaste, und auf dem Bildschirm tauchte eine Textseite auf.
    »Du darfst nicht vergessen, Bertie, die Reichen sind anders als wir.«
    »Ich weiß. Sie haben mehr Geld.«
    Das war eine Geschichte oder ein Roman. Archie schrieb einen Roman? Man hatte schon Pferde kotzen sehen. Und selbst wenn Archie einen Roman schriebe, wäre es nicht diese Art Roman, sondern hätte etwas mit der Zerstörung der Welt durch roboterhafte Cybermaschinen zu tun und obendrein mit gefügigen Sexpuppenfrauen. Sie ging in »Eigene Dateien«. Der Roman war auf einer CD . Eindeutig nicht Archies CD . Es befand sich zudem Korrespondenz eines »Alex Blake« darauf, offenbar Antworten auf Fanpost. Weitere Korrespondenz von einem Martin Canning. Teile eines Manuskripts, ein Roman – mehrere Kapitel von etwas mit dem Titel »Tod auf Black Isle«. Das hatten sich Archie und Hamish gestern Abend laut vorgelesen.
    »›Weißt du, ich glaube es steckt mehr dahinter, als man auf den ersten Blick sieht, Bertie.‹«
    Dann fiel es ihr ein – »Alex Blake« war der Name des Mannes, in dessen Haus Richard Moat ermordet worden war. Martin Canning war sein richtiger Name – oder war es umgekehrt? Ihr Sohn, ihr
harmloser
Sohn besaß gesetzwidrig etwas, was vom Tatort stammen musste. Was hatten sie sonst noch getan? Sie spürte ein Loch, eine Leere, wo normalerweise ihr Magen war.

39
    G loria hatte das frühmorgendliche Feuer im Gartengrill als symbolischen Akt geplant, als Scheiterhaufen für die ehemalige Gloria (Grahams Frau) und als Signalfeuer für die zukünftige Gloria (Grahams Witwe). Sie hatte sich vorgestellt, wie ein Phönix aus der Asche aufzusteigen, und so war sie enttäuscht, dass ihre Garderobe nicht besser brannte, auch wenn es nur ein paar Abendkleider waren – teure Designersachen, die sie zu Abendgesellschaften mit Tanz getragen hatte. Sie dachte nicht gern daran, wie sie in den letzten neununddreißig Jahren durch einen Hotelballsaal nach dem anderen gewankt war, auf alt gemacht, ihr Körper in den glitzernden Panzer eines mit Flitter besetzten Kleides gestopft und ihre kleinen Füße (»Schweinsfüßchen« nannte Graham sie) in ungeeignete Schuhe gequetscht.
    Doch bald wäre er tot, davon war sie überzeugt. Tot wie ein Dodo. Mausetot. Warum mausetot? Warum war eine Maus toter als etwas anderes? Gab es einen Komparativ von tot? Konnte etwas toter als etwas anderes sein? Tot, toter, am totesten. Graham wäre toter als Gloria. Er

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