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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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mit Kruzifixohrringen möglicherweise ertrunken ist.«
    »Ah, ja«, sagte Tatiana. »Bin ich nicht.«
    »Wer dann?«
    »Sie rufen mich nicht an, Gloria«, sagte Tatiana und ignorierte die Frage, ihr Mund eine kleine Schnute der Enttäuschung.
    »Ich wusste nicht, dass ich Sie anrufen sollte.«
    »Ich gebe Ihnen Telefonnummer.«
    Gloria hatte ihre Telefonnummer vielen Leuten gegeben und nie erwartet, dass jemand sie anrief. Tatiana öffnete Schränke auf der Suche nach etwas zu essen, und Gloria machte ihnen beiden getoastete Sandwiches. Nachdem sie das Sandwich gegessen hatte, zündete sich Tatiana eine Zigarette an und verschlang eine Mandarine. Gloria hatte noch nie jemanden gesehen, der Obst aß und gleichzeitig rauchte. Bei Tatiana wirkte das Rauchen so genüsslich, dass Gloria sich fragte, warum sie aufgehört hatte. Es hatte irgendetwas mit Schwangerschaft zu tun, aber war das ein ausreichender Grund?
    »Graham hat eine Geliebte«, sagte Gloria.
    »Ah, ja, Maggot«, Tatiana nickte. »Was für eine Schlampe. Er verlässt Sie.«
    Ist es erledigt, ist es vorbei? Bist du Gloria los? Bist du die alte Schachtel los?
Er hatte also nicht vorgehabt, sie umzubringen, sondern sie zu verlassen. Das war eine Erleichterung. »Falls er es erlebt«, sagte Gloria.
    Tatiana verlor das Interesse an diesem Gespräch. Sie streckte sich, gähnte und sagte: »Ich muss jetzt ins Bett.« Und Gloria brachte sie in Emilys altem Zimmer unter, wo sie fast die ganze Nacht schnarchte wie ein Landsknecht, bevor sie wieder erwachte und nach Schinkenbroten fragte. »Mit Pickles. Haben Sie Pickles?«
    »Nur von Branston«, sagte Gloria.
     
    Es passierte nicht jeden Tag, dass eine fremde russische Domina aus dem Nirgendwo auftauchte und durch dein Haus tigerte. Gloria folgte Tatiana ins Wohnzimmer und sah zu, wie sie mehrere Ziergegenstände in die Hand nahm und begutachtete. Die Moorcraft-Vase schien ihre Zustimmung zu finden, nicht jedoch die Staffordshire-Figuren, vor allem nicht die Milchkännchen in Kuhform von 1850, die sie »scheußlich« nannte. Sie inspizierte den Vorhangstoff, roch an den Blumen, testete die Bequemlichkeit der Sessel. Gloria fragte sich, ob sie den Vollmond anheulte.
    Als Nächstes spielte Tatiana mit der Bang&Olufsen-Fernbedienung, vor allem gefiel ihr der Knopf, mit dem man das Licht ein- und ausschaltete. Dann blieb sie stehen, um sich im Spiegel zu betrachten. Als Nächstes nahm sie einen Apfel aus der Obstschale, und während sie ihn (deutlich hörbar) aß, ging sie alle Radiosender durch, hielt nur inne, um die Lautstärke aufzudrehen für »My Heart Will Go On« von Celine Dion. Und lauter und lauter und lauter. »Das ist gutes Lied«, sagte sie.
    Gloria war fasziniert. Es war, als wäre sie mit einem ruhelosen, eigensinnigen Tier in einem Käfig eingesperrt. Tatiana schien ihr in jeder Beziehung fremd. Wenn man mit einem Messer eine Scheibe aus ihr herausschnitte (obwohl es wahrscheinlicher war, dass Tatiana das Messer schwang), hätte sie, so vermutete Gloria, nach rohem Rentierfleisch, rauchigem schwarzem Tee und metallisch nach Blut geschmeckt. Fremdem Blut.
    Schließlich warf sich Tatiana aufs Sofa und atmete hörbar aus, als würde sie vor Langeweile umkommen. Sie betrachtete ihre Fingernägel, einen nach dem anderen, dann fixierte sie Gloria mit einem kühlen Blick und sagte: »Okay, Gloria. Machen wir einen Deal?«
    Gloria hatte noch nie im Leben einen Deal gemacht. Sie stand an der Terrassentür und beobachtete eine riesige Ringeltaube, die gebaut war wie ein Frachtflugzeug und über ihren Rasen watschelte. Sie wandte sich wieder Tatiana zu, einem weiteren wilden Tier, das auf dem Sofa lag und sich durch die Fernsehsender arbeitete.
    »Einen Deal?«, sagte Gloria. »Was für einen Deal?«

40
    K rimiautoren zum Mittagessen« – als würden sie vom Publikum aufgegessen.
    Das »Mittagessen« bestand aus Kaffee und gefüllten Hefebrötchen, die umsonst waren und an einer Bar ganz hinten im Spiegelzelt ausgegeben wurden. Die Schriftsteller dienten der Unterhaltung. Tanzbären. Früher brachte man den Bären das Tanzen bei, indem man die Jungen auf heiße Kohlen stellte. So viel zur Menschlichkeit. Martin hatte in St. Petersburg einen Bären gesehen, allerdings keinen Tanzbären. Sein Besitzer führte ihn, einen Braunbären so groß wie ein großer Hund, an der Leine auf einer kleinen Grünfläche nahe der Newa spazieren. Ein paar Leute machten Fotos und gaben dem Mann Geld. Deswegen, so vermutete Martin,

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