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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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wie die oben erwähnter Statue.
    Eine Art Visitenkarte ragte aus ihrem BH heraus. Die Karte war blassrosa, ein Extrastück faltiger nasser Haut. Er zog sie vorsichtig heraus. In schwarzen Buchstaben standen »
Hilfe
 – stets zu Ihren Diensten!« und eine Handynummer darauf. Eine Prostituierte? Eine Stripteasetänzerin? Oder vielleicht war
Hilfe
ja auch nur eine hilfsbereite wohltätige Organisation, die für alte Frauen die Einkäufe erledigte. Klar, das wird’s sein, dachte Jackson zynisch.
    Er berührte ihre Wange, er wusste nicht, warum, sie war eindeutig tot. Vielleicht wollte er, dass sie eine freundliche Hand spürte. Zwischen ihrem vorzeitigen Tod und der Obduktion sollte sie wissen, dass jemand Mitgefühl für ihre missliche Lage empfunden hatte. Eine Welle schwappte über das Mädchen und Jacksons Stiefel. Sie war unterhalb der Gezeitenmarke angespült worden, und er würde sie höher hinaufschaffen müssen. Noch eine Welle. Die Flut würde sie ins Meer zurückschwemmen, wenn er nicht schnell etwas unternahm. Die Flut? Als er sich aufrichtete und auf den Damm blickte, sah er, dass sich die Vertiefungen zwischen den Felsen mit Meerwasser füllten und der Sand- und Kiesstrand nahezu verschwunden war.
Gezeitenwechsel,
hatte die Vogelbeobachterin gesagt. Das Wasser zog sich nicht zurück, wie er gedacht hatte, sondern stieg. Scheiße.
    Eine weitere Welle rollte heran, leckte an Jacksons Stiefeln. Er säße hier in der Falle, wenn er sich nicht beeilte. Er nahm sein Handy, wählte den Notruf, hörte aber nur das elektronische Rauschen, das ein Funkloch signalisierte. Er erinnerte sich an die Kamera in seiner Tasche, zumindest konnte er der Polizei ein Foto von ihr
in situ
liefern, bevor er sie holte. Er machte schnell eine Aufnahme, nicht der übliche Urlaubsschnappschuss eines Touristen, dann aber musste er das Fotografieren einstellen, denn das Wasser stieg jetzt so rasch, dass er hineinwaten musste, um nach ihr zu greifen. Als er das tat, erfasste sie eine Welle, die größer war als alle anderen zuvor, und riss sie fort. Verdammt, dachte Jackson. Er ließ die Kamera fallen, zog seine Jacke aus und stürzte sich in die eiskalten grauen Fluten. Die Kälte des Wassers überraschte ihn, der Sog war stärker als erwartet. Jackson glaubte nicht, dass irgendeiner seiner keltischen Altvorderen ein Seefahrer gewesen war. Er war ein guter Schwimmer, aber das Wasser war nicht sein Element, er mochte Erde, festen Boden unter den Füßen.
    Im Garten seines Hauses in Frankreich hatte er einen Swimmingpool bauen lassen, der gefliest war mit kleinen türkisblauen Mosaiken, und wenn im Sommer die Sonne darauf schien, blendete das Wasser so sehr, dass man kaum hinsehen konnte. Als er in Cambridge lebte, war er jeden Morgen gelaufen, aber in Frankreich wäre es lächerlich gewesen. Im ländlichen Frankreich joggte niemand. Sie tranken, wenn man nicht trank, gehörte man nicht dazu. Die Franzosen konnten anscheinend folgenlos literweise Alkohol schlucken, wohingegen Jackson die Folgen am Morgen deutlich spürte. Deswegen schwamm er in seinem türkis gemusterten Swimmingpool auf und ab, Bahn um Bahn, um den Alkohol und die Langeweile wegzuschwimmen.
    Sein Swimmingpool hatte keinerlei Ähnlichkeit mit den feindseligen Wassern des Forth im August. »Du bist Schütze«, sagte Julia, »ein Feuerzeichen, Wasser ist dein Feind.« Glaubte sie diesen Mist? »Hüte dich vor Pisces«, erklärte sie ihm. »Pisces« war lateinisch für »Fische«. »Swimmingpool« hieß auf Französisch
piscine
. Julia war Widder, ein weiteres Feuerzeichen, nicht gerade ideal, meinte sie. Feuer mit Feuer bekämpfen. Was würde mit ihnen passieren, würden sie einfach verbrennen? Zu kalter Asche werden?
    Er schaffte es, die Tote wie ein Rettungsschwimmer unter den Schultern zu fassen, aber sie war in jeder Hinsicht ein totes Gewicht. Eine unerbittliche Folge von Wellen warf sie beide hin und her. Jackson schluckte brackiges Meerwasser und musste würgen. Er versuchte, Wasser zu treten, während er sich überlegte, wie er sie beide am besten aus dem Meer schaffen könnte, aber es rollte eine Woge nach der anderen heran. Jackson hatte schon Menschen vor dem Ertrinken gerettet, einmal im Dienst und einmal in der Freizeit. Und als er ein Wochenende mit Josie und Marlee in Whitby verbrachte, wurde er Zeuge, wie ein Mann seinem Hund vom Pier aus ins Meer hinterhersprang – es war ein wilder kleiner Terrier, der so aufgeregt war, dass er einfach über das Ende

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