Liebesdienste / Roman
hatte, aber sie hatte geglaubt, dass er einfach Graham war. Sie dachte oft, wenn er ein Müllmann oder ein Zeitungshändler wäre, er wäre für Frauen nicht so attraktiv. Ohne Geld, ohne Macht, ohne Charisma wäre er – seien wir ehrlich – nur ein
alter Mann
.
Das Telefon fühlte sich plötzlich heiß an in ihrer Hand. »Ist es erledigt, ist es vorbei?«, fragte Maggie. »Bist du Gloria los? Bist du die alte Schachtel los?«
Gloria war so verdattert, dass ihr beinahe das Telefon aus der Hand gefallen wäre. Graham wollte sich von ihr
scheiden
lassen? Graham hatte eine Affäre mit jemandem aus der Verkaufsabteilung, und die beiden sprachen davon, sie
loszuwerden?
Gloria steckte das Handy zurück in Grahams Tasche und ließ Maggie Louden mit seiner Sommerwolle sprechen. Sie hörte sie noch immer gedämpft »Graham? Bist du da, Graham?« sagen wie eine beharrliche Hellseherin bei einer Séance. In der Ferne explodierte leise das Feuerwerk am Schluss des Zapfenstreichs. Hatte der Kapitalismus wirklich die Menschheit gerettet? Es schien unwahrscheinlich, aber jetzt war es vermutlich zu spät, um mit Graham darüber zu diskutieren.
15
E r hatte sie losgelassen. Er hatte Marlees Stimme gehört, die ihm
Daddy
ins Ohr flüsterte, als würde sie neben ihm Wasser treten, und er hatte die tote Meerjungfrau preisgegeben und war an Land geschwommen. Helfende Hände hatten ihn aus dem Hafenbecken geholt und ins Cramond Inn gebracht, wo ein Malzwhisky und ein Teller heiße Suppe wieder Leben in ihn brachten. Als die Polizei eintraf, saß er in Decken gewickelt da, seine Kleider wurden irgendwo im Haus in Industriemaschinen gewaschen und getrocknet.
Dann begann der scheinbar endlose Prozess, immer wieder anderen Leuten seine Geschichte zu erzählen. »Haben Sie getrunken, Sir?«, fragte ihn der uniformierte Wachtmeister, der als Erster eintraf, und blickte unverblümt auf das Glas in seiner Hand, das gerade neu gefüllt worden war. Jackson überlegte kurz, ihm einen Schlag zu verpassen, doch er brachte nicht die Energie auf. Andererseits gestand er widerwillig ein, dass der Mann nur seine Arbeit machte.
Als Letztes kam (»Heute ist eigentlich mein freier Tag«, hörte er sie sagen) eine Kriminalpolizistin, deren Haltung auf einen Mangel an Manieren schließen ließ. Sie gab ihm ihre Karte, auf die »Kriminalkommissarin Louise Monroe« aufgedruckt war, das Wort »Kommissarin« war mit Kugelschreiber durchgestrichen und durch ein handschriftliches »Oberkommissarin« ersetzt worden war. Das fand er komisch. Eine frischgebackene Oberkommissarin. Er hoffte, dass sie sich nichts beweisen musste. Auch sie fragte, ob er getrunken habe.
»Ja, das habe ich«, sagte er und hielt ihr das jetzt halbleere Glas hin. »Das hätten Sie unter diesen Umständen auch.«
»Keine Unterstellungen«, sagte sie scharf. Sie war hübsch, gewissermaßen. Ihr Mund war ein bisschen zu groß für ihr Gesicht, und die Nase war ein bisschen zu klein, und sie hatte einen schiefen Vorderzahn, trotzdem war sie hübsch. Gewissermaßen. Ende dreißig, dunkles Haar, dunkle Augen. Bei Blonden hatte Jackson noch nie viel Glück gehabt. Ihr Haar war zu einem Bubikopf geschnitten, ordentlich und praktisch, und sie schob sich gelegentlich eine Strähne hinters Ohr mit einer Geste, die Jackson immer ansprechend fand. Bei Frauen zumindest. Es war ein weit vorgeschobener Außenposten seines Gehirns, der diese Beurteilung vornahm. Der Rest von ihm versuchte zu verhindern, dass er vor Erschöpfung einschlief.
Sie stellte gern Fragen: Was hatte er auf Cramond Island getan? War ihm klar gewesen, dass die Flut einsetzte, als er aufbrach? Wie war er hierhergekommen?
»Mit dem Bus«, sagte er widerstrebend. Ihm war, als würde er eingestehen, eine niedrige Lebensform zu sein. Unter den Decken war er nackt, und er fühlte sich absurd verletzlich. Ein nackter Mann, der Bus fuhr und nichts Besseres mit seiner Zeit anzufangen wusste, als sich verdächtigerweise auf unbewohnten Inseln herumzutreiben. Bei einsetzender Flut. Wie blöd war er? Sehr blöd, offenbar.
Was tat er in Edinburgh? Er zuckte die Achseln und sagte, dass er wegen des Festivals gekommen sei. Sie warf ihm einen skeptischen Blick zu, woraufhin er sich wie ein Lügner fühlte, weil er augenscheinlich nicht in die Kategorie Festivalbesucher passte. Er überlegte, ob er sagen sollte: »Meine Freundin spielt in einem Stück mit, sie ist Schauspielerin«, aber das ging außer ihn wirklich niemanden etwas an, und
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