Liebesdienste / Roman
hob ab, aber es war nicht Pam, sondern ihr Mann Murdo.
»Gloria! Entschuldige, dass ich dich so spät störe, aber ich versuche Graham auf seinem Handy zu erreichen.«
Gloria hörte, dass er sich bemühte, liebenswürdig zu klingen, aber Murdo war kein liebenswürdiger Mensch, und vor Anstrengung, so zu tun, hörte er sich an, als wäre er nicht ganz bei Trost.
»Wir waren heute Nachmittag zu einer Besprechung verabredet, aber er ist nicht gekommen. Ist er zu Hause? Liegt er im Bett?«
»Nein, er ist in Thurso.«
Das Wort schien einen hysterischen Anfall bei Murdo hervorzurufen. »Thurso? Du machst Witze. Was soll das heißen, Thurso? Was tut er in Thurso, verdammt noch mal, Gloria?«
Warum hatte sie Thurso gesagt? Vielleicht weil es sich auf Murdo reimte. Oder weil es der am weitesten entfernte Ort war, der ihr eingefallen war. »Er baut dort eine Siedlung.«
»Seit wann?«
»Seit heute.«
»Das erklärt nicht, warum er nicht ans Telefon geht.«
»Er hat es vergessen«, sagte Gloria beherzt.
»
Graham
hat sein
Handy
vergessen?«
»Ich weiß, es ist kaum zu glauben, aber so ist es. Die ganze Zeit passieren erstaunliche Dinge.« (Das stimmte.)
Murdo gab einen aufgeregten Laut von sich, gleichermaßen frustriert und panisch. Glücklicherweise begann in diesem Moment irgendwo in den Tiefen des Hauses Grahams Handy zu läuten, erkennbar am irritierenden »Walkürenritt«-Klingelton. Gloria folgte dem Wagner-Faden durchs Haus, wie eine Ratte dem Kinderfänger von Hameln, bis in die Waschküche, in der sie den Plastiksack mit Grahams Sachen aus dem Krankenhaus abgestellt hatte. Er wäre sehr wütend geworden, hätte er gewusst, dass sein maßgeschneiderter Sommeranzug aus leichter Wolle und seine handgefertigten Schuhe in einem Müllsack des Krankenhauses steckten.
Gloria wühlte in dem Sack, bis sie das Telefon endlich in der Innentasche von Grahams Jackett fand. Sie hielt es hoch, damit Murdo das Klingeln hören konnte.
»Hörst du das?«, sagte sie. »Der ›Walkürenritt‹. Ich habe dir doch gesagt, dass er’s vergessen hat.« Murdo gab ein Schnauben von sich und legte auf. »Den Blödmann wären wir los«, sagte Gloria. Manche Leute hatten einfach keine Manieren.
Sie nahm den Anruf auf Grahams Handy an und hörte eine drängende Stimme sagen: »Graham, ich bin’s, Maggie. Wo bist du? Ich versuche schon den ganzen Nachmittag, dich zu erreichen.«
»Maggie Louden«, murmelte Gloria und beschwor ein Bild von ihr herauf. Sie war neu im Team von Grahams Verkaufsabteilung, eine schmalgesichtige Frau Ende vierzig, mit einem Helm schwarz gefärbten Haars, am Kopf festgesprayt wie der Panzer eines Käfers. Gloria hatte sie an Weihnachten zum letzten Mal gesehen. Einmal im Jahr waren alle, angefangen von den Richtern und Polizeipräsidenten über die Ziegellieferanten und Leiter der Dackdeckerfirmen bis zu privilegierten Mitarbeitern aus dem Hatter-Häuser-Büro, eingeladen, unter dem Hatter-Dach in Grange Champagner zu trinken und süße Pasteten mit Hackfleisch zu essen. Sie erinnerte sich, dass Maggie in ihren schlecht sitzenden Stöckelschuhen von Kurt Geiger wie ein Kakerlak über die Fliesen in der Halle geklappert war. Gloria erinnerte sich nicht, dass jemals zuvor Leute vom Verkauf zu ihrer Weihnachtsparty eingeladen gewesen waren.
Gloria wollte gerade »Hallo Maggie, hier ist Gloria« antworten, als Maggie sagte: »Graham, Liebling, bist du da?«
Liebling?
Gloria runzelte die Stirn. Sie erinnerte sich, dass Graham zusammen mit Maggie Louden, Murdo Miller und Sheriff Crichton vor dem Weihnachtsbaum gestanden hatte, in der einen Hand ein Glas mit Malzwhisky, die andere unverhohlen auf Maggies Rücken genau an der Nahtstelle zwischen dem schwarzen Crêpe ihres Cocktailkleides und dem weißen Crêpe ihrer Haut. Eine Kellnerin hielt ihnen einen Teller mit Pasteten hin, und Graham nahm zwei davon und schaffte es, sie sich gleichzeitig in den Mund zu stecken. Doch Maggie Louden winkte ab, als wären sie radioaktiv. Gloria war misstrauisch gegenüber jedem, der keine Zeit für Zucker hatte, es war ein persönlicher Makel wie eine Vorliebe für schwachen Tee. Zucker und Tee waren Charaktertests. Sie hätte es damals schon wissen müssen.
Graham hatte sich zu Maggie geneigt, seine hängenden Backen streiften nahezu den Schellack ihres Haars, und ihr etwas ins Ohr geflüstert. Gloria war es unwahrscheinlich erschienen, dass er die neue Baumbeleuchtung kommentierte, die sie vor kurzem bei Dobbies erworben
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