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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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Auto einen Beinaheunfall bauen. Sie würde einmal (oder mehrmals) an gebrochenem Herzen leiden, zwei Kinder auf die Welt bringen, sich einmal scheiden lassen, krank werden, operiert werden, alt werden. Im Alter hätte sie Osteoporose und Arthritis, würde mit einem Spazierstock oder einem Einkaufstrolley herumschlurfen, ein künstliches Hüftgelenk brauchen, zusehen, wie einer ihrer Freunde nach dem anderen starb, in ein Pflegeheim ziehen. Selbst sterben.
    »Mr. Brodie?«
    »Ja?«
     
    Gegen Ende des Nachmittags war eine Menge Hardware durch die Gegend gebrummt, die Luftwaffe, die Küstenwache, ein Polizeiboot, ein Boot der Hafenbehörde – plus eine Menge Manpower – vergeblich. Sie fanden nichts, nicht einmal die Kamera, die er zurückgelassen hatte, als er ins Wasser sprang. Allerdings fanden sie seine Jacke (danke), die zumindest bewies, dass er auf der Insel gewesen war, denn auch das schien bezweifelt zu werden.
    »Na, zumindest das haben Sie nicht erfunden«, sagte Louise Monroe. Sie lächelte, ein schiefes Lächeln, das jeglicher Hoffnung auf Seelenverwandtschaft den Boden entzog.
    »Ich habe gar nichts erfunden«, sagte Jackson.
    Betrachte die erste Person am Tatort als Verdächtigen. Und genau das tat sie. Er würde es auch tun.
Was war der Zweck Ihres Besuches in Cramond, Sir?
Was sollte er sagen – herumlungern? Dass er zurzeit überhaupt nicht wusste, was er mit sich anfangen sollte? Ihm ging durch den Kopf, zu sagen: »Soweit ich weiß, bin ich einer von euch«, aber es stimmte nicht, nicht mehr, er war nicht mehr Mitglied des exklusiven Zirkels. Des Clubs. Und ein Teil von ihm – ein perverser Teil zweifellos – war neugierig zu erfahren, wie es war, auf der anderen Seite zu stehen.
    Es war lange her, dass er der anderen Seite einen Besuch abgestattet hatte: Jacksons Karriere als Verbrecher begann und endete, als er fünfzehn war und dabei erwischt wurde, wie er zusammen mit einem Freund in den Laden am Ort einbrach, um Zigaretten zu klauen. Die Polizei erwischte sie, verfrachtete sie aufs Revier und jagte ihnen eine Heidenangst ein.
    »Da war eine Karte«, sagte er unvermittelt zu Louise Monroe. »Hatte ich vergessen. Es war eine Visitenkarte. Rosa mit schwarzer Aufschrift, die lautete …« Wie lautete sie? Er sah die Karte vor sich, er sah die Worte, aber er konnte sie nicht lesen. Es war, als würde er versuchen, etwas in einer fremden Sprache oder in einem Traum zu entziffern. Himmel? Hitze? Und eine Telefonnummer. Sein gutes Gedächtnis für Zahlen, das Einzige, wofür er dieser Tage noch ein gutes Gedächtnis hatte, schien sich davongestohlen zu haben. »Der Name begann mit einem ›H‹«, sagte er. Er konnte sich nicht erinnern, was er mit der Karte getan hatte, man hätte meinen sollen, dass er sie eingesteckt hatte, aber in seiner Jackentasche fand sich keine Spur davon.
    »Wir haben auf der Insel keine rosa Karte gefunden«, sagte Louise Monroe.
    »Sie haben ja auch keine gesucht, oder?«, sagte Jackson. »Sie war nicht gerade groß.«
    »Sie haben eine Leiche fotografiert?«, sagte das Mannweib plötzlich und starrte ihn an, als wäre er ein verrückter Psychopath.
    Er dachte an die Aufnahmen in der Kamera, die kleinen Schätze, die Kompositionen von Venedig mit Julia in all ihrer Schönheit neben den Bildern einer unbekannten Leiche. »Selbstverständlich«, sagte er.
    Das Mannweib hieß Jessica Irgendwas, er hatte den Nachnamen überhört, als sie sich vorstellte. »Jessica« war ein mädchenhafter Name für eine Frau, die nicht gerade fraulich war. »Sie nehmen uns hier doch nicht auf den Arm, Mr. Brodie?«, sagte Jessica Irgendwas. Er ignorierte sie, der Name lag ihm auf der Zunge, Himmel, Hitze, Hiebe – »Hilfe!«, sagte er unvermittelt, das war es, das war, was auf der verlorenen Karte gestanden hatte.
     
    Als er ging, hörte er, wie Louise Monroe Polizeitaucher anforderte. Er fragte sich, wie sauer sie auf ihn wäre, wenn sie nichts fänden. Wahrscheinlich sehr sauer. Ein uniformierter Polizist fuhr ihn zurück in die Stadt, zu Julias Spielort, wo die Schauspieler gerade eine Pause von der Generalprobe machten. Julia, jetzt nicht mehr mit geröteten Wangen, sondern bleich, ging mit ihm ins Freie, wo sie erschreckend entschlossen eine Zigarette rauchte und zwischen den Zügen keuchend Luft holte. »Tobias ist ein Trottel«, sagte sie zornig. Sie war nervös und redselig, wo sie früher still und bedrückt gewesen war. »Und kennst du Molly?«
    »Mhm«, sagte Jackson.

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