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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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die Umstände waren dem Schlaf nicht gerade förderlich. Als Richard Moat seine Vorstellung zu widerwilligem Applaus beendete, dachte Jackson: Und wieder sind ein paar Stunden meines Lebens futsch. Er war zu alt und sich der begrenzten Frist zu bewusst, um wertvolle Zeit auf schlechtes Kabarett zu verschwenden.
    Er verdrückte sich so schnell wie möglich und stieg in die unterirdischen Tiefen von Julias Bühne hinunter, die dunkel und leer war. Eines Tages würde er dort unten auf einen Minotaurus stoßen. Julia hatte von stundenlangen Proben gesprochen, aber hier war niemand mehr. Er schaltete sein Handy ein und fand eine Nachricht von Julia:
Alles erledigt, warte auf Dich in der Wohnung.
    Er fand einen Notausgang und beging den Fehler, das Gebäude durch ihn zu verlassen, so dass er nicht wusste, wo er war, als er auf der Straße stand. Er hatte in
National Geographic
(seit Kurzem war er Abonnent, was zweifelsfrei seinen Status als Mann in mittleren Jahren bestätigte) gelesen, Genforscher hätten nachgewiesen, dass sich Frauen an Wahrzeichen, Männer an räumlichen Indikatoren orientieren. Es war dunkel, und in Ermangelung räumlicher Indikatoren hielt er nach Wahrzeichen Ausschau, nach der Royal Mile, der Skyline der Türme und Zinnen, die sich zu Pracht, Pomp und Rüstung der Burg zusammenfügten. Er blickte sich um nach dem massiven Museumsbau in der Chambers Street, nach den landumschlossenen Brücken, aber er sah nur den Schlund einer dunklen schmalen Gasse, die zu einer endlos langen Steintreppe führte. Oben schimmerten die Lichter einer Straße, auf der es noch immer von Festivalbesuchern wimmelte, und er setzte sich in Bewegung, ohne mehr zu denken als: Das ist eine Abkürzung. »Durchlass« hätte er es als Junge genannt. Andere Sprache, andere Zeiten.
    Jackson warnte Marlee (und auch Julia, aber sie hörte nie auf ihn) beständig davor, durch dunkle Gassen zu gehen.
Daddy, ich darf nicht mal raus, wenn es dunkel ist
, sagte die vernünftige Marlee. Andererseits musste man als Mädchen oder Frau nicht durch eine dunkle Gasse gehen, um attackiert zu werden. Sie konnten in einem Zug sitzen, aus einem Bus steigen, an einer Fotokopiermaschine stehen und dennoch viel zu früh von einem verrückten Typen aus dem Leben gerissen werden. Noch nicht einmal von einem verrückten Typen, die meisten waren nicht verrückt, sie waren nur Typen, Punkt. Jackson wäre glücklicher, wenn die Frauen in seinem Leben das Haus überhaupt nicht verlassen hätten. Aber er wusste, dass auch das nicht ausreichte, um für ihre Sicherheit zu garantieren.
Du bist wie ein Schäferhund,
sagte Julia.
Du fühlst dich auch noch für das letzte Lämmchen verantwortlich.
    Jackson selbst hatte keine Angst vor dunklen Gassen, er hielt sich in einer dunklen Gasse für die größere Bedrohung, wem er dort auch begegnete, doch er hatte die Rechnung ohne den Honda-Mann gemacht. Der unglaubliche Bulle auf Steroiden schoss in all seiner aufgepumpten Glorie aus dem Nirgendwo und prallte mit der Anmut eines Rugbyspielers gegen Jackson. Himmel noch mal, dachte Jackson, als er auf dem Boden aufschlug, das war vielleicht eine Stadt. Der Minotaurus war aus dem Labyrinth entkommen.
    Instinktiv rappelte er sich auf, niemals liegen bleiben, liegen bleiben hieß getreten werden, hieß tot zu sein, aber bevor Jackson auch nur einen rationalen Gedanken fassen konnte –
warum?
wäre ein guter Anfang gewesen –, traf ihn Honda-Mann mit einem Hieb wie von einem Rammbock. Jackson hörte die Luft mit einem
Uff!
aus seinem Körper entweichen, bevor er zusammenbrach. Sein Zwerchfell wurde zu Stein, und er verlor jegliches Interesse an rationalem Denken, seine Sorge galt einzig der Mechanik seiner Atmung – warum hatte sie ausgesetzt, wie brachte man sie wieder in Schwung. Er schaffte es auf alle viere wie ein Hund und wurde damit belohnt, dass Honda-Mann ihm auf die Hand trat, Jacksons Ansicht nach ein gemeiner Schachzug, aber es tat so weh, dass er am liebsten geweint hätte.
    »Sie werden vergessen, was Sie gesehen haben«, sagte Honda-Mann.
    »Was vergessen? Was habe ich gesehen?«, keuchte Jackson. Volle Punktzahl für den Versuch, ein Gespräch zu führen, Jackson, dachte er. Auf allen vieren und redet immer noch, gebt dem Mann einen Orden. Er keuchte und schnappte nach Luft.
    »Versuchen Sie bloß nicht, den Schlaumeier zu spielen, Sie wissen genau, was Sie gesehen haben.«
    »Wirklich?« Zur Antwort gab ihm Honda-Mann einen beiläufigen Tritt in die

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