Liebesdienste / Roman
das hatte nichts zu sagen, hier oben schien es überhaupt nicht richtig dunkel zu werden. »Jockland« nannte er es jetzt wie ein guter Schotte. Edinburgh, das Athen des Nordens, das war wohl ein verdammter Witz. Sein Mund fühlte sich an, als wäre im Schlaf eine Nacktschnecke hineingekrochen und hätte seine Zunge übernommen. Auf seinem Kinn spürte er einen Faden Schneckensabber.
Er war erst um vier Uhr ins Bett gegangen, und zu dieser Zeit kämpfte die Dämmerung bereits um ihren Auftritt. Tirili, tirila, verdammtes Gezwitscher auf dem ganzen Nachhauseweg. War er mit dem Taxi gefahren oder zu Fuß gegangen? Er hatte bis lange nach Mitternacht in der Traverse Bar getrunken und sowohl eine lebhafte wie auch bizarre Erinnerung daran, in einem Tabledance-Club in der Lothian Road gewesen zu sein – »Shania«, wenn er sich nicht täuschte, hatte sie ihm die Möse ins Gesicht gereckt. Eine echte Prollnutte.
Der Auftritt für die BBC war okay gewesen, diese Vorstellungen am helllichten Tag für die BBC zogen stets ein älteres, artiges Publikum an, das noch immer glaubte, die BBC stünde für Qualität. Aber die Vorstellung um zehn Uhr abends … Wichser, alle miteinander. Verdammte Wichser.
Die Sonne steckte einen leidenschaftslosen Finger zwischen den Vorhängen herein, und er bemerkte Martins Rolex an seinem Handgelenk. Zwanzig vor fünf. Martin brauchte keine Uhr wie diese, er war kein Rolex-Mann. Wie groß war die Chance, dass Martin sie ihm schenkte? Ob er sie vielleicht »aus Versehen« nach Hause mitnehmen konnte?
Wieder ging der Wecker in seinem Kopf los, und ihm wurde klar, dass es tatsächlich an der Tür läutete. Warum zum Teufel öffnete Martin nicht? Wieder, diesmal länger. Herrgott noch mal. Er torkelte aus dem Bett und die Treppe hinunter. Die Haustür war nur ins Schloss gefallen und nicht mit der endlosen Reihe von Riegeln und Schlössern und Ketten gesichert, hinter denen Martin sich normalerweise verbarrikadierte. In mancher Hinsicht verhielt der Mann sich wie eine alte Frau. In vieler Hinsicht. Richard Moat zog die Tür auf. Das Tageslicht schlug ihm entgegen, und er wusste, wie Vampire sich fühlen mussten. Ein Kerl stand vor ihm, einfach ein Kerl, nicht der Briefträger, nicht der Milchmann oder sonst irgendjemand, der das Recht beanspruchen konnte, ihn um diese Uhrzeit zu wecken.
»Was? Es ist noch nicht mal fünf. Es ist noch immer gestern, verdammte Scheiße.«
»Nicht für dich«, sagte der Mann vor der Tür und schubste ihn grob ins Haus. »Für dich ist es schon morgen.«
»Was zum –, sagte Richard Moat, als der Mann ihn ins Wohnzimmer stieß.
Der Kerl war riesig, die Nase geschwollen und hässlich, als hätte er sich mit jemandem geprügelt. Er sprach sehr nasal, Englisch, tonlos, Nottingham oder Lancaster vielleicht. Richard Moat stellte sich vor, wie er ihn später der Polizei beschreiben, wie er sagen würde: »Ich kenne mich aus mit Akzenten, gehört zu meinem Beruf.« Anfang der neunziger Jahre hatte er sich als Schauspieler versucht und eine kleine Rolle in der Krimireihe
The Bill
gespielt: einen Mann (einen Komiker, damit er sich nicht »verbiegen« musste), dem eine verrückte Frau nachstellte, mit der Absicht, ihn umzubringen. Ein echter Polizist hatte ihn bezüglich der Rolle beraten und gesagt, dass man wie ein Überlebender
denken
müsse, um zu überleben, man müsse sich ein Bild machen von sich selbst in der Zukunft, in der Zeit
nach
dem Überfall. Er erinnerte sich jetzt an diesen Rat, aber es fiel ihm auch ein, dass die verrückte Frau den Mann letztlich umgebracht hatte.
Der wahnsinnige Fremde trug Autofahrerhandschuhe, und Richard dachte, dass das wahrscheinlich kein gutes Zeiten war. Die Handschuhe hatten Löcher, aus denen seine Handknöchel ragten wie kleine Atolle aus weißem Fleisch, und Richard glaubte, dass hier irgendwo ein Witz versteckt sein musste, vielleicht hatte es etwas mit der klassischen Schlägertypen-Knöcheltätowierung »love« und »hate« zu tun, aber sosehr er es auch versuchte, er konnte seine Gedanken nicht ordnen, geschweige denn in einen witzigen Zusammenhang bringen. Aus dem Nirgendwo holte der Kerl plötzlich einen Baseballschläger hervor.
Was folgte, hätte eigentlich in Zeitlupe geschehen sollen, ohne Geräusche, stattdessen mit Musik unterlegt – »Psycho Killer« von den Talking Heads oder vielleicht etwas Ergreifendes; etwas Klassisches – ein Cello – Martin wüsste es. Richards Beine knickten plötzlich ein,
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