Liebesdienste / Roman
und viele eingebrochene Türen, und in dem Durcheinander hatte Louise sich Lily einfach gegriffen, aus der Wohnung geführt, ihr ein »Verzieh dich« ins Ohr gezischt und sie mehr oder weniger die Treppe hinuntergestoßen, hinaus in die Nacht, in ihre sichere Hochleistungszukunft.
Jim war ein guter Kerl, er war ihr so dankbar, dass er sich einen Arm abgehackt und ihn ihr in einem Glaskasten überreicht hätte, wenn sie ihn darum gebeten hätte. Für Lily musste Ehrlichkeit ein übermächtiges Bedürfnis sein, denn sie beichtete ihrem Vater alles. Louise konnte sich nicht vorstellen, dass sie in diesem Alter so etwas zugegeben hätte. Eigentlich in keinem Alter.
Louise hatte Jim nichts von der Razzia erzählt, sie hielt nichts von Petzen. So wie sie es sah, hatte Archie eine Du-kommst-aus-dem-Gefängnis-frei-Karte und zumindest ein Mitglied der Lothian-and-Borders-Polizei (mit ihr selbst waren es natürlich zwei) auf seiner Seite, sollte sich Archie in einer ähnlichen Situation mit Jim wiederfinden.
Sie schüttete sich eine halbe Schachtel Tic Tacs in den Mund und war so bereit wie nur irgend möglich.
19
R ichard Moat erwachte nicht. Er lag seelenruhig in Martin Cannings Wohnzimmer in Merchiston. Es war ein großes viktorianisches Landhaus im neogotischen Stil und hatte etwas von einem Pfarrhaus. Der Rasen davor wurde beherrscht von einem einzelnen riesigen Affenschwanzbaum, der so alt war wie das Haus. Von der Straße wurde das Anwesen durch große alte Bäume und Büsche abgeschirmt. Die komplizierte Verästelung der Wurzeln des Affenschwanzbaums reichte jetzt weit über den Rasen hinaus, wand sich um Gas- und Abwasserrohre bis auf die Straße und schob sich lautlos in anderer Leute Gärten.
Die zerschlagene Rolex an Richard Moats Handgelenk tat kund, dass er um zehn vor fünf gestorben war (auch sie tickte angemessenerweise nicht mehr), bewacht nur von dem kleinen, roten dämonischen Auge des Fernsehers – der »phantastische«, den für sein Leben einzutauschen Richard einen Augenblick lang gehofft hatte –, mit nichts zur Gesellschaft als den leisen Geräuschen der Vorortwelt, die lauter wurden, als der Morgen voranschritt. Das Milchauto war durch die Straße gerattert. Es war ein wohlhabender Vorort, in dem Milchautos die Glasflaschen noch bis zur Haustür brachten. Die Post war nahezu lautlos durch den Briefschlitz gefallen. In London begann der Tag für Richard Moat erst, wenn die Post eintraf. Ein Tag ohne Post (obwohl immer Post kam) begann gar nicht erst. Heute kam Post, nahezu ausschließlich für ihn, weitergeleitet an »c/o Martin Canning« – ein Scheck seines Agenten, die Postkarte eines Freundes aus Griechenland, zwei Fanbriefe und zwei Hassbriefe. Doch obwohl die Post eingetroffen war, sollte dieser Tag für Richard Moat nie beginnen.
Das Mädchen fand ihn. Das Mädchen war eine Tschechin aus Prag, eine Physikerin mit abgeschlossenem Studium. Sie hieß Sophia und verbrachte den Sommer damit, sich für einen Hungerlohn »den Arsch abzuarbeiten«. Sie waren keine »Mädchen«, sie waren Putzfrauen, »Mädchen« war eine dumme, altmodische Bezeichnung. Sie waren angestellt bei einer Firma namens
Hilfe,
und sie trafen ein, den Mopp in der Hand, in einem rosa Kombi, beaufsichtigt von einer Bandenführerin, die sich als »Haushälterin« bezeichnete – eine Frau, die von der Isle of Lewis stammte und die Mädchen schlecht behandelte. Mit den Gebühren für Agentur und versteckte Zulagen kostete
Hilfe
dreimal mehr als eine normale Putzfrau, die ein-, zweimal in der Woche kam. Im Allgemeinen putzten sie bei Leuten, die zu reich oder zu dumm (oder beides) waren, um an eine billigere Alternative zu denken. Sie hatten kleine rosa Visitenkarten, deren Slogan lautete: »Wir haben Ihnen
Hilfe
geleistet!« Sophia hatte Wörter wie »Slogan« (und das Wort »Arsch« und viele andere Dinge) von ihrem schottischen Freund gelernt, der Marketing studiert hatte. Wenn die Mädchen fertig waren, sollten sie eine kleine rosa Karte zurücklassen, auf die sie schrieben: »Ihre Mädchen waren heute Maria und Sharon.« Oder wer auch immer. Die Hälfte der Mädchen waren Ausländerinnen, die meisten aus Osteuropa. Ökonomische Einwanderung wurde es genannt, aber in Wirklichkeit war es Sklavenarbeit.
Die Haushälterin gab ihnen eine Liste mit Aufgaben mit. Die Liste war zuvor mit dem Hausbesitzer vereinbart worden und umfasste Selbstverständliches wie »Waschbecken im Bad putzen«, »Treppe saugen«,
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