Liebesdienste / Roman
Kanal – Touristenfotos wie Postkarten, keine Leute darauf.
Er hatte einen Satz russischer Puppen, eine Matroschka von der teuren Sorte. Die Touristenläden in Prag waren dieser Tage voll mit russischen Puppen. Die Puppen des Schriftstellers standen aufgereiht auf dem Fensterbrett, sie staubte sie jede Woche ab. Manchmal stellte sie sie ineinander, spielte mit ihnen, wie sie es als Kind mit ihrer eigenen Matroschka getan hatte. Damals hatte sie sich vorgestellt, sie würden einander auffressen. Ihre Matroschka war billig gewesen, lieblos bemalt in Primärfarben, aber die Puppen des Schriftstellers waren schön, bemalt von einem wirklichen Künstler mit Szenen aus Puschkin – so viele Künstler in Russland hatten jetzt keine Arbeit mehr, bemalten Schachteln und Puppen und Eier, alles für die Touristen. Der Satz des Schriftstellers bestand aus fünfzehn Puppen! Wie sehr er ihr als Kind gefallen hätte. Jetzt hatte sie alle Kindersachen natürlich weggeräumt. Sie fragte sich, ob der Schriftsteller schwul war. In Edinburgh gab es viele schwule Männer.
In seinem Arbeitszimmer stand ein Regalfach mit seinen Büchern, viele davon in fremden Sprachen, sogar in Tschechisch! Sie hatte darin geblättert, sie handelten von einem Mädchen namens Nina Riley, die Privatdetektivin war.
Legen Sie die Waffe weg, Lord Hunterston! Ich weiß, was auf der Moorhuhnjagd passiert ist, Davys Tod war kein Unfall.
Scheiße, hätte ihr schottischer Freund gesagt. Bei
Hilfe
nannten sie den Schriftsteller Mr. Canning, aber das war nicht der Name auf den Büchern, dort hieß er Alex Blake.
Alles hübsch wie immer. Duftende Rosen aus dem Garten in einer runden Vase auf dem Tisch in der Eingangshalle. Er legte immer zehn Pfund extra unter die Vase, ein großzügiger Mann. Musste sehr reich sein. Heute lag kein Zehn-Pfund-Schein darunter, das sah ihm gar nicht ähnlich. Das Esszimmer war unbenutzt wie immer. Sie öffnete die Tür zum Wohnzimmer. Die Vorhänge waren zugezogen, was sie sonst nicht waren. Im Zimmer war es düster, als wäre es voller Nebel. Selbst in diesem Dämmerlicht war ihr klar, dass etwas Schlimmes passiert sein musste. Sie ging vorsichtig über den Teppich, und unter ihren Füßen knirschte Glas, als wäre eine Bombe eingeschlagen. Sie zog die Vorhänge auf, und Sonnenlicht strömte herein und erhellte das Chaos – der Spiegel über dem Kamin, alle Ziergegenstände, sogar die hübschen gläsernen Schirmchen der antiken Lampe, alles zu Scherben und Splittern zerschlagen. Das Tischchen umgestürzt, eine Tischlampe auf dem Boden, der Schirm aus gelber Seide verbogen und zerbrochen. Ein Durcheinander, als wären Elefanten durch das Zimmer getrampelt. Wirklich tollpatschige Elefanten. Die Matroschka-Puppen des Schriftstellers lagen verstreut herum, kleine umgestoßene Kegel. Gedankenverloren hob sie eine auf und steckte sie in die Tasche ihrer Jacke, fühlte ihre glatte, runde, befriedigende Form.
Sophia hatte ein komisches Gefühl im Bauch, als ob gleich etwas Aufregendes passieren würde, etwas, was noch nie zuvor passiert war. Wie damals, als sie zusah, wie ein großer Wohnblock gesprengt wurde. Bumm! Und dann die große Wolke dichter grauer Staub wie bei einem Vulkanausbruch, wie die einstürzenden Türme des World Trade Center, nur dass das Haus lange vor dem World Trade Center eingestürzt war.
Dann schrie sie »O Gott, o mein Gott« in ihrer eigenen Sprache. Sie bekreuzigte sich, obwohl sie nicht gläubig war, und sagte noch einmal: »O mein Gott.« Es schienen die einzigen Worte zu sein, an die sie sich erinnern konnte. Der Anblick des Mannes auf dem Boden hatte vorübergehend den gesamten Datensatz von Sophias Wortschatz, Englisch und Tschechisch, gelöscht.
Sie war eigentlich Wissenschaftlerin, nicht Putzfrau, rief sie sich ins Gedächtnis, sie sollte leidenschaftlos, objektiv beobachten können. Sophia zwang sich, näher zu treten. Der Mann, es musste der Schriftsteller sein, lag auf dem Boden, als wäre er nach hinten umgefallen, während er auf den Knien betete. Es schien eine unbequeme Lage, aber wahrscheinlich machte es ihm nicht mehr allzu viel aus. Sein Kopf war eingeschlagen, ein Auge hing heraus. Überall klebte Hirn, das aussah wie schottischer Haferbrei. Blut. Eine Menge Blut, aufgesaugt von dem roten Teppich, deswegen hatte sie es zuvor nicht bemerkt. Blut auf den rot gestrichenen Wänden, Blut auf den roten Samtsofas. Der Raum schien auf einen Mord gewartet zu haben, er schien darauf gewartet zu
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