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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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ölgefleckten Boden, die Betonpfeiler, die Mütter, die Kleinkinder in und aus Kindersitzen und Buggys hievten. O Gott, wie sie Einkaufszentren hasste. Es hatte keinen Sinn, ihn nach dem Warum zu fragen, denn er würde nur die Achseln zucken, auf seine Turnschuhe starren und »Weiß nich« brummen. Das schlaue Schlitzohr.
    Louise verstand, dass es aus seiner Perspektive unfair war – sie hatte so viel Macht, während er überhaupt keine hatte. In ihrem Inneren zog sich etwas schmerzhaft zusammen. Eine weitere Drehung des Korkenziehers. Das war Liebe. So stark wie beim ersten Mal, als sie ihn nach seiner Geburt berührte, als er wie eine Muschel auf ihrer Brust lag im Kreißsaal des alten Simpson Memorial Maternity Pavilion (jetzt, im neuen Krankenhaus, umbenannt in Simpson-Zentrum für Reproduktionsmedizin, es war nicht mehr das Gleiche). Seit dieser ersten Berührung wusste Louise, dass sie auf die eine oder andere Weise für immer aneinander gebunden waren.
    Während sie im Wagen saßen, schien er so hilflos wie damals, und sie wollte sich zu ihm drehen und ihm mit der Faust auf den Kopf schlagen. Sie hatte ihn nie geschlagen, kein einziges Mal, aber sie war tausendmal kurz davor gewesen, vor allem im vergangenen Jahr. Stattdessen drückte sie auf die Hupe. Lange. Die Leute im Parkhaus schauten sich um in dem Glauben, es wäre eine Alarmanlage. »Mum«, sagte er schließlich leise. »Nicht. Bitte, hör auf.« So deutlich hatte er seit Wochen nicht mehr mit ihr gesprochen. Sie hörte auf. Das alles schien ein hoher Preis für eine verzweifelte, betrunkene Runde Sex mit einem verheirateten Kollegen, der niemals erfuhr, dass er ein Kind gezeugt hatte.
    Plötzlich und unerwünscht sah sie es vor sich, das Gestoße und Geschinde von Archies Genese. Kriminalmeisterin Louise Monroe auf dem Rücksitz eines zivilen Polizeiwagens mit Kriminaloberkommissar Michael Pirie am Abend seines Ausstandes. Er war auf eine neue Stelle befördert worden und hatte eine alte Frau, aber das hielt ihn nicht auf. Manche Menschen glaubten, die Umstände der Zeugung eines Kindes prägten dessen Charakter. Sie hoffte es nicht.
    »Was?«, sagte Archie und starrte sie wütend an, einen Schnurrbart aus Milch um den Mund.
    »Ophelia«, sagte Louise. »Sie hat sich ertränkt. Ophelia ist ertrunken.«
     
    Louise ging nach oben ins Bad und öffnete das Fenster, putzte die Dusche, hob nasse Handtücher auf, betätigte die Toilettenspülung. Sie fragte sich, ob er je stubenrein würde. Sein Verhalten war unmöglich zu ändern. Wie würde er unter Androhung von Folter reagieren … Vielleicht sollte sie ihn an die Wissenschaft oder die Armee verkaufen. Für die CIA wäre er eine phantastische Versuchsperson – der Junge, der nicht gebrochen werden konnte.
    Sie fummelte die Kontaktlinsen in die Augen, legte Make-up auf, genug, um als solches erkennbar zu sein, nicht genug, um aufdringlich weiblich zu wirken, sie zog eine weiße Bluse zu einem adretten schwarzen Kostüm von Next an, Pumps mit kleinem Absatz, kein Schmuck, abgesehen von einer Armbanduhr und schlichten goldenen Steckern in den Ohren. Sobald sie konnte, wollte sie nach Cramond fahren zu ihrem Team, um die Punkte auf die i und die Striche durch die t zu machen in einem Fall, den es nie gegeben hatte, aber am Morgen musste sie erst vor Alistair Crichtons Gericht aussagen – in einem Fall von Autohehlerei: Luxuskarossen, gestohlen in Edinburgh und mit neuen Nummernschildern in Glasgow verkauft. Sie und ihr Kollege Jim Tucker hatten verbissen daran gearbeitet, einen Fall für den Staatsanwalt zusammenzubasteln. Crichton war ein alter Mistkerl und ein Pedant, was Verfahrensvorschriften anging, und sie wollte nicht, dass ihr Aussehen der Beweislage in die Quere kam. Letztes Jahr hatte sie Jim einen Riesengefallen getan. Er hatte eine junge Tochter, Lily, eins dieser wohlerzogenen Mädchen, dickes Haar, jede Menge Kieferorthopädie, hervorragend auf dem Klavier. Lily hatte gerade die Schule triumphal abgeschlossen und wollte mit einem Stipendium der Königlichen Marine Medizin studieren, und dann war Louise dabei gewesen, als sie eine Drogenrazzia in einer Wohnung in Sciennes durchführten. Sie fanden nur ein bisschen Dope, Abiturienten von der Gillespie und ein paar Studenten im ersten Semester. Louise hatte Lily sofort erkannt. Alle wurden aufs Revier gebracht, ein paar wegen Drogenbesitzes angeklagt. Es war eine dieser Aktionen, die im Nachhinein wie Overkill wirkten, ein Riesengeschrei

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