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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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fallen. Keine Krankheit, kein Erbrechen, kein Blut, kein Eiter, keine im Wohnzimmer verspritzte Gehirnmasse, kein Wüten gegen das Verlöschen des Lichts – sie küsste lediglich ihren Mann zum Abschied, ging die Treppe hinauf und schloss die Schlafzimmertür.
    Der Tod war nicht so. Der Tod trat ein, wenn man am wenigsten damit rechnete. Ein Streit auf der Straße. Ein verrücktes russisches Mädchen, das den Mund aufriss, um zu schreien. Es brauchte nur ganz wenig.
    Seine vortreffliche Nachkriegs-Ehefrau konnte wie Miniver ausbessern und improvisieren, sie wusste, wie man eine gefurchte Stirn glättete und die Niedergeschlagenen aufheiterte, sie hatte Tragödien erlebt, aber im Angesicht der Tragödie blieb sie stoisch. Sie roch nach Maiglöckchen.
    Für gewöhnlich begann gerade der Frühling, der Himmel war blass und herb, ein heftiger Wind wehte, frische Osterglocken trieben wie Speere aus der Erde. Aus unerfindlichem Grund war es fast immer Sonntagmorgen (es hatte wahrscheinlich etwas damit zu tun, dass er die Wochenenden im Internat verbracht hatte). Eine Lammkeule (beim Phantasieren nahm kein lebendes Tier Schaden) brutzelte in dem alten cremefarbenen Aga-Herd in der Küche. Martin hatte bereits Minze gehackt, frisch aus dem Garten. Sie saßen im Wohnzimmer, in Sesseln, die mit William Morris’ »Erdbeerdieb«-Stoff überzogen waren, tranken einen kleinen Sherry und hörten die
Goldberg-Variationen
. Diese Frau ohne Namen hatte den gleichen Geschmack wie er, was Musik, Gedichte, Drama anbelangte. Nachdem sie das Lamm (mit Sauce, Erbsen und Bratkartoffeln) gegessen hatten, gab es eine hausgemachte Eiercremetorte – zitterndes blasses Gelb mit einer Spur Muskat. Dann erledigten sie gemeinsam den Abwasch an der altmodischen Spüle aus Porzellan. Sie spülte, er trocknete ab, Peter/David räumte auf.
(Die Vorlegelöffel gehören hier hinein, Lieber.)
Dann schüttelten sie die Tischdecke aus und gingen spazieren, bestimmten Vögel und die ersten Frühlingsblumen, stiegen über Zauntritte, sprangen in Pfützen. Lachten. Sie sollten einen Hund haben, einen freundlichen, temperamentvollen Terrier. Der beste Freund eines Jungen. Nachdem sie mit geröteten Gesichtern und gestärkt nach Hause zurückgekehrt waren, tranken sie Tee und aßen etwas Selbstgebackenes aus der Keksdose.
    Abends machten sie Sandwiches von den Lammresten und legten gemeinsam ein Puzzle oder hörten Radio, und nachdem Peter/David im Bett war, lasen sie oder spielten zusammen ein Duett, sie auf dem Klavier, er auf der Oboe. Zu seinem immerwährenden Bedauern hatte er nie ein Instrument gelernt, aber in seiner Phantasie spielte er meisterhaft, gelegentlich sogar inspiriert. Sie strickte viel – Pullover für Peter/David und frauliche Jacken für Martin. Im Winter saßen sie vor dem knisternden Kohlenfeuer, und manchmal toastete Martin Hefeküchlein oder Teekuchen mit der Röstgabel aus Messing. Hin und wieder las er ihr Gedichte vor, allerdings nichts zu Modernes.
    Dann war es natürlich an der Zeit, dass auch sie ins Bett gingen. Martin zog die Uhr auf, überprüfte die Schlösser, wartete, bis seine Frau getan hatte, was immer sie in dem kalten, etwas feuchten Bad tat. Eines Tages würde das Häuschen unvermeidlicherweise modernisiert werden, Bad und Küche, ein elektrischer Herd und Zentralheizung, aber jetzt hatte das Ganze etwas Entbehrungsreiches, geschuldet seiner Zeit und seinem Ort in der britischen Sozialgeschichte. Dann würde auch er die schmale Treppe hinaufgehen (Kiefernholz mit Läufer und Messingstangen) und ihr Schlafzimmer mit den Dachschrägen betreten. Dort wartete sie auf ihn, saß in ihrem geblümten Nachthemd in dem Mahagonibett aus einem früheren Jahrhundert und las im heimeligen Licht der Lampe mit dem Pergamentschirm ein Buch.
Marty, komm ins Bett
.
    Nein, das war falsch, sie nannte ihn nie Marty. Das war falsch. Falsch, falsch, falsch.
Martin,
sie nannte ihn Martin, der gewöhnliche Name eines gewöhnlichen Menschen, an den sich nie jemand erinnerte.
    Die Mutter des Jungen im Toyota kam aus dem Laden, hatte Chips und Cola und Schokoriegel dabei. Sie blickte Martin (aus keinem erkennbaren Grund) finster an und reichte die Früchte ihrer Nahrungssuche an den Jungen auf dem Rücksitz weiter, bevor sie in einer Abgaswolke davonfuhr. Der Junge wandte sich zu Martin um und hielt ihm in einer unverwechselbaren Geste einen Finger ans Fenster entgegen.
    Erst als er den Laden betrat, um zu zahlen, fiel ihm ein, dass er seine

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