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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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sich auf dem Rasen rekelten, dass William Wallace erschaudert wäre. Sie stellten irgendetwas nach. Julia hatte im letzten Sommer ein paar Wochen lang auf einem Anwesen der Gesellschaft zum Schutz des historischen Erbes Szenen nachgestellt und Nell Gwyn gespielt (»für einen Apfel und ein Ei«). Julia »verdingte sich stundenweise« (ihre eigenen Worte) für alle möglichen prosaischen Jobs von Bankettbegleitung bis zu Bingoausruferin. In all diesen Jobs müsse man schauspielern, behauptete sie, ob als Prostituierte oder Verkäuferin, man spielte eine Rolle. »Und wenn du Julia bist?«, hatte er gefragt. »Oh«, sagte sie, »das ist die tollste Schau der Welt, Schatz.«
    Unterwegs trank er noch eine Tasse Kaffee aus dem Automaten, der früher eine blaue Polizeinotrufsäule, ein sogenannter Tardis, gewesen war. Es war eine verrückte Welt, dachte Jackson. Ja, Sir.
    Edinburgh schien eine Stadt, in der niemand arbeitete, in der die Leute ihre Zeit mit
Spielen
verbrachten. Und so viele junge Menschen, nicht einer über fünfundzwanzig, die so unbeschwert und sorgenfrei wirkten, dass Jackson irritiert war. Am liebsten hätte er ihnen klargemacht, dass das Leben sie tagtäglich enttäuschen würde, gleichgültig, wie großartig sie sich jetzt fühlten. Das Lachen würde ihnen schon noch vergehen. Dieses Aufwallen von Bitterkeit – die schwarze Galle des Neides, wenn er sich nicht täuschte – beunruhigte Jackson. Neid passte nicht zu ihm, sondern zu seinem Vater. Er konnte wohl kaum behaupten, neidisch zu sein, wenn er nichts Anstrengenderes im Leben tat, als in seinem türkisfarbenen Swimmingpool zu schwimmen.
    Ein junger Mann mit einem dieser idiotischen Narrenhüte auf dem Kopf blockierte seinen Weg. Er jonglierte mit drei Orangen, als hätte Jackson ihn heraufbeschworen, indem er an Nell Gwyn dachte. Julia war natürlich perfekt gewesen für Nell Gwyn, ihre kurvige, vollbusige Figur, ihr zwanghaftes Flirten. Sie schickte ihm ein Foto von sich im Kostüm, wie sie die vom Korsett hochgeschnürten Brüste – so rund wie Orangen, aber wesentlich größer – auf außerordentlich provozierende Art in die Kamera hielt. Jackson fragte sich, wer das Foto aufgenommen hatte. »Was musst du als Nell Gwyn machen?«, hatte er gefragt, und sie hatte in einem bäuerlichen Dialekt, Devon oder Somerset, geantwortet:
»Orangen, wer kauft meine wunderbaren Orangen?«
    Nell Gwyn war nicht wirklich eine Orangenverkäuferin, sagte Julia, »sie war eigentlich eine echte Schauspielerin«.
    »Genau wie du«, sagte Jackson. Es hatte möglicherweise sarkastischer als beabsichtigt geklungen. Vielleicht hatte es aber auch genau so sarkastisch geklungen wie beabsichtigt. Julia wäre eine perfekte Geliebte für einen König, eine perfekte Geliebte für jeden Mann. Und eine schreckliche Ehefrau. Tief in seinem Inneren wusste er, dass es das noch schlimmer machte.
    Er unterdrückte den Wunsch, den Jongleur-Knaben mit der Schulter aus dem Weg zu schubsen, starrte ihn stattdessen finster an und sagte spitz: »Entschuldigung.« Jackson hätte wie alle anderen auf der Wiese an ihm vorbeigehen können, aber es ging ihm ums
Prinzip
. Wege waren dazu da, dass Leute darauf gehen konnten, und nicht, damit Idioten mit Hüten auf dem Kopf darauf jonglierten.
    Jongleur-Knabe sagte nichts, trat jedoch langsam zur Seite, den Blick unverwandt auf die Orangen geheftet. Jackson stieß im Vorbeigehen mit ihm zusammen, rempelte ihn am Ellenbogen an, und die Orangen rollten in drei Richtungen über das Gras davon. »Tut mir sehr leid«, sagte Jackson, unfähig, nicht erfreut dreinzublicken.
    »Wichser«, murmelte der Junge.
    Jackson machte auf der Stelle kehrt, marschierte zurück und pflanzte sich vor ihm auf. »Was hast du gesagt?«, fragte er und brachte sein Gesicht bedrohlich nahe an das des Jungen. Adrenalin jagte durch seinen Blutkreislauf, und eine leise Stimme in seinem Kopf sagte:
Mach schon, schlag zu
. Unangenehmerweise sah er kurz Terence Smith’s grinsende Fratze vom vergangenen Abend vor sich.
    Der Junge wich beunruhigt einen Schritt zurück und winselte: »Nichts, Mann. Ich hab nichts gesagt.« Er wirkte verängstigt und mürrisch, und Jackson wurde klar, dass er nicht älter als sechzehn, siebzehn sein konnte und fast noch ein Kind war (Jackson war in diesem Alter zur Armee gegangen, ein Kindersoldat, der sich für einen richtigen Mann gehalten hatte). Er erinnerte sich an Terence Smith, der gestern aus dem Auto gestiegen war und zornig den

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