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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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Brieftasche nicht mehr hatte.
     
    Als Martin vor seinem Haus vorfuhr, musste er feststellen, dass die Einfahrt von der Polizei abgesperrt war und von einem uniformierten Polizisten bewacht wurde. Martin fragte sich, ob es in seinem Haus gebrannt hatte oder eingebrochen worden war oder ob er versehentlich ein Verbrechen begangen hatte – vielleicht während der Stunden der Unzurechnungsfähigkeit im Four Clans. Oder waren sie ihm schließlich auf die Spur gekommen? Hatte ihn Interpol aufgespürt, und wollten sie ihn verhaften und an Russland ausliefern?
    »Officer«, sagte er, »ist etwas passiert?« (Sagte man das –
Officer
 –, oder sagten das die Leute im amerikanischen Fernsehen? Martin war noch immer schrecklich benebelt.)
    »Es gab einen Zwischenfall, Sir«, sagte der Polizist. »Sie können leider nicht ins Haus gehen.«
    Plötzlich fiel Martin ein, dass Mittwoch war. »Es ist Mittwoch.« Er hatte nicht beabsichtigt, es laut zu sagen, er musste klingen wie ein Idiot.
    »Ja, Sir«, sagte der Polizist, »so ist es.«
    »Die Putzfrauen kommen mittwochs«, sagte Martin. »
Hilfe
 – das ist eine Agentur. Hatte die Putzfrau einen Unfall?« Martin war kurz einer oder zwei der rosa gekleideten Frauen begegnet. Er war nicht gern zu Hause, während sie schrubbten und polierten, Dienstboten, die seine schmutzigen Geschäfte erledigten, und er versuchte immer aus dem Haus zu flüchten, bevor sie ihn entdeckten.
    War eins der »Mädchen« wegen einer fehlerhaften elektrischen Leitung an einem Stromschlag gestorben, war sie auf einem spiegelglatt gewienerten Boden ausgerutscht, über den lockeren Läufer auf der Treppe gestolpert und hatte sich dabei das Genick gebrochen? »Ist eine der Putzfrauen tot?«
    Der Polizist murmelte etwas in das Funkgerät an seiner Schulter und sagte dann zu Martin: »Wie heißen Sie, Sir?«
    »Martin, Martin Canning«, sagte Martin. »Ich wohne hier«, fügte er hinzu und dachte, dass er das vielleicht schon früher hätte erwähnen sollen.
    »Haben Sie Ihren Ausweis dabei, Sir?«
    »Nein«, sagte Martin. »Meine Brieftasche wurde letzte Nacht gestohlen.« Es klang nicht einmal in seinen eigenen Ohren überzeugend.
    »Haben Sie den Diebstahl gemeldet, Sir?«
    »Noch nicht.« In der Tankstelle im Leith Walk hatte er in seinen Taschen gekramt und vier Pfund und einundsiebzig Pence gefunden. Er bot an, für den Rest einen Schuldschein auszustellen, ein Vorschlag, über den herzlich gelacht wurde. Martin, überzeugt, dass jeder für ehrlich gehalten werden sollte, bis das Gegenteil bewiesen war (eine Haltung, aufgrund deren er häufig geschröpft wurde), fühlte sich erstaunlich gekränkt, weil ihm niemand das gleiche Wohlwollen entgegenbrachte. Letztlich rief er Melanie, seine Agentin, an und bat sie, mit ihrer Kreditkarte zu zahlen.
    Der Polizist vor dem Haus bedachte ihn mit einem langen, kühlen Blick und murmelte wieder etwas in sein Funkgerät.
    Eine alte Frau ging langsam mit einem offensichtlich ebenso alten Labrador vorbei. Martin erkannte – mehr am Hund als an der Frau –, dass sie eine Nachbarin war. Hund und Frau blieben vor der Einfahrt stehen. Martin bemerkte, dass auf der anderen Straßenseite noch weitere Leute standen – Nachbarn vermutlich, Passanten, ein paar Arbeiter, die Mittagspause hatten und ihre Zeit vertrödelten. Einen Augenblick lang dachte er an die Zuschauer bei Paul Bradleys blutigem Straßentheater gestern.
    Die alte Frau mit dem Labrador berührte Martin am Arm, als wären sie alte Bekannte. »Ist es nicht schrecklich?«, sagte sie. »Wer hätte das gedacht, es ist so ruhig hier.« Martin kraulte den mottenzerfressenen Kopf des Hundes, der unerschütterlich und reglos dastand, nur ein leises Zittern seines Schwanzes verriet sein Wohlbehagen. Der Hund erinnerte ihn an Spielzeughunde auf Rädern. Er und sein Bruder Christopher hatten als Kinder einen gehabt, einen Allerweltsterrier. Sein Vater stolperte eines Tages darüber und wurde so wütend, dass er ihn aufhob und mit so viel Schwung wie möglich aus dem Wohnzimmerfenster schleuderte. So etwas galt in ihrem Zuhause als akzeptables Verhalten. Nicht Zuhause – »Heimatfront« nannte ihr Vater es. Das war die Generalprobe für den echten Hund gewesen, eine Promenadenmischung, den er in Deutschland durch das Wohnzimmerfenster warf. Der Spielzeughund überlebte, der echte Hund nicht. Martin erinnerte sich daran, wie er gestern den Laptop geworfen hatte – hatte irgendetwas in ihm den Moment der

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