Liebesdienste / Roman
Baseballschläger geschwungen hatte. So fühlte sich Wut auf der Straße an. Wegewut. Jackson lachte, unvermittelt, unerwartet und hart, und der Junge schreckte zurück. Verlegen sammelte Jackson die Orangen ein und gab sie ihm. Der Junge nahm sie vorsichtig, als wären es Handgranaten. »Entschuldige«, sagte Jackson und ging rasch weiter, um dem Jungen eine weitere Demütigung zu ersparen. Du Scheißkerl, sagte Jackson zu sich selbst, du verdammter Scheißkerl. Er wurde zu seinem Feind, zu der schlimmsten Version seiner selbst.
25
M artin fuhr zu einer Tankstelle im Leith Walk. Er war erleichtert gewesen, als er seinen Wagen endlich im Parkhaus des St. James Centre entdeckte, geduldig wartend wie ein Pony auf der Koppel – sein Gehirn befand sich in einer Art nervösem Overdrive und schlug schreckliche metaphorische Purzelbäume. Er suchte eine halbe Stunde nach seinem Auto, da Richard Moats Anweisungen sich nicht gerade als hilfreich erwiesen –
Ihr Wagen steht vor Macbet im Leith Walk, Gruß, R
, gekritzelt auf den Umschlag, in dem gestern die Eintrittskarte gesteckt hatte. Als er den Wagen fand, war die Windschutzscheibe vor Parkscheinen kaum mehr zu sehen.
An der nächsten Zapfsäule saß ein kleiner Junge auf dem Rücksitz eines Toyota, zog schreckliche, schwachsinnige Grimassen, und Martin vermutete, dass das Kind irgendwie behindert war. Die Mutter war im Laden und zahlte, und Martin fragte sich, ob er es wagen würde, ein Kind allein im Auto zu lassen. War der Wagen abgeschlossen und fing Feuer (das viele Benzin), konnte das Kind verbrennen. War der Wagen nicht abgeschlossen, konnte jemand das Kind stehlen, oder es konnte aussteigen, auf die Straße rennen und von einem Lastwagen überfahren werden. Ein Vorteil, kein Kind zu haben, war, dass er nicht seinetwegen Entscheidungen über Leben oder Tod treffen musste.
Als Frau ohne Partner konnte man zu einer Samenbank gehen, aber als Mann? Vom Kauf einer Frau abgesehen, ließe sich vielleicht eine Frau auch dafür bezahlen, sein Baby auszutragen, aber es blieb trotzdem eine geschäftliche Transaktion. Und wie sollte er das dem Kind erklären, wenn es fragte, wer seine Mutter war? Vermutlich könnte er lügen, aber beim Lügen wurde man immer erwischt, wenn auch nur von sich selbst.
Vielleicht hätte er doch Mönch werden sollen, zumindest hätte er dann ein Sozialleben. Bruder Martin. Vielleicht wäre er für die Krankenstation zuständig, für den eingefriedeten Kräutergarten, wo er die medizinischen Pflanzen pflegte, die Bienen summten leise, irgendwo läutete eine Glocke, die warme Luft duftete nach Lavendel und Rosmarin. Aus der Kapelle schwebten die beruhigenden Klänge eines Chorals oder eines gregorianischen Gesangs heran – war das nicht ein und dasselbe, und wenn nicht, worin bestand der Unterschied? Schlichte Mahlzeiten im Refektorium, Brot und Suppe, süße Äpfel und Pflaumen aus dem Obstgarten des Klosters. Freitags ein fetter Karpfen aus dem Fischteich. Im Winter würde er durch den kalten Kreuzgang hasten, sein Atem hinge wie weiße Wolken in der eisigen Luft des Kapitels. Natürlich stellte er sich das mönchische Leben von vor der Reformation vor, oder? Eine andere Zeit, ein anderer Ort, eine Mischung aus Bruder-Cadfael-Romanen und »Der St.-Agnes-Abend« und nicht die historische Realität. Außerdem gab es so etwas wie eine »historische Realität« nicht, Realität war diese Nanosekunde, genau jetzt, nicht einmal ein Atemzug, sondern das Atom eines Atemzugs, ein winziges winziges Ding. Davor und danach existierten nicht. Alle hielten sich mit den Fingernägeln an dem Faden fest, an dem sie hingen.
Seine namenlose, imaginäre Frau – eine Frau, für die er nichts bezahlt hatte (obwohl sie ihm teurer war als Rubine) – lebte mit ihm in einem Häuschen, das sich in einem vollkommenen Dorf befand, von dem man, wenn man wollte, in einer Stunde in London war. Das Häuschen war voller Plüsch und hatte Holzbalken, einen schönen Garten und ähnelte dem von
Mrs. Miniver
. Martin hatte kürzlich die Fortsetzung von
Mrs. Miniver
gesehen –
Ihr Geheimnis
– und war noch immer empört, dass sie
aus keinem ersichtlichen Grund
die arme Greer Garson hatten sterben lassen, als gäbe es in der Nachkriegswelt keinen Platz mehr für sie. Was natürlich den Tatsachen entsprach, aber darum ging es nicht. Und sie hatte nicht einmal gegen ihre namenlose Krankheit gekämpft (offenbar Krebs); ihre einzige Sorge war, niemandem zur Last zu
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