Liebesfluch
einen Parkplatz unter einer alten verkrüppelten Eiche. Ich halte so abrupt an, dass etwas unter dem Beifahrersitz nach vorne rutscht. Ich weiß, es ist Stefans Auto und es geht mich nichts an, aber ich kann trotzdem nicht der Versuchung widerstehen und muss einfach in die edle Papiertüte schauen. Als ich die Satinbänder der Tüte auseinanderziehe, sehe ich, wie in dem Futter aus Seidenpapier etwas schimmert, etwas Rotes. Ich ziehe es vorsichtig ein Stückchen heraus. Es ist ein raffiniertes rotes Seidennachthemd mit viel schwarzer Spitze im Brust- und Pobereich.
Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Völlig irritiert lasse ich es sofort wieder zurück in die Tüte fallen. Für mich gibt es nur einen Grund, warum ein Mann so etwas in seinem Auto versteckt – oder sollte das Nachthemd etwa ein Geschenk für Anja werden? Von der Größe her könnte es ihr passen …
Ja, ja, Blue, träum weiter! Denk mal daran, was Mom über Männer in Vegas oder was Grannie vom Leben in der Kommune erzählt hat – nie im Leben ist dieses Teil für Anja bestimmt! Und ganz sicher ist Stefans Geliebte auch der Grund dafür, warum er nicht im Krankenhaus bei Anja war. Wie mies ist das denn? Anja tut mir entsetzlich leid. Nicht nur, dass die Zwillinge dauernd krank sind, nein, ihr Mann ist auch noch ein übler Betrüger.
Ich schiebe die Tüte angewidert zurück unter den Vordersitz. Jetzt mach mal halblang, Blue, zwischen den beiden stimmt etwas nicht, das kann ja wohl sogar ein Blinder sehen. Doch das geht dich nichts an. Gar nichts. Aber die Frage, ob er ein Mörder ist, meldet sich eine hartnäckige Stimme in meinem Kopf, die geht mich sehr wohl etwas an. Wenn ich nur wüsste, wie ich da weiterkommen könnte – die Internetrecherche bei Felix hat rein gar nichts gebracht.
Ich habe diese Geheimniskrämerei so satt!
Das Ganze muss ein Ende haben und ich beschließe, dass ich den Zeltners ganz einfach erzählen werde, wie das Sideboard aufgegangen ist, und dann werde ich fragen, was diese Artikel zu bedeuten haben. Und wenn ich schon mal dabei bin, diese ganzen unangenehmen Dinge offen auf den Tisch zu packen, kann ich auch gleich noch nachhaken, warum sie ihr Schlafzimmer zusperren. Klartext! Und Grannie werde ich auch in die Mangel nehmen und mich nicht wieder einfach nur abspeisen lassen.
Yes! That’s it!
Ich wende das Auto und fahre zurück.
12.
Als er des Mordes verdächtigt wurde, war ich kurz davor, alles zu gestehen, denn ich konnte doch keinen Unschuldigen im Gefängnis schmoren lassen. Aber zum Glück hat die Polizei relativ schnell gemerkt, dass seine Lügen anderer Natur waren.
Von Weitem funkeln die großen Fensterscheiben der Zeltners in der späten Nachmittagssonne wie blutige Diamanten. Anjas Auto steht nicht in der Garage, als ich dort parke.
Es ist sehr still, sogar die Vögel scheinen vor lauter Hitze verstummt zu sein. Als ich aus dem klimatisierten Auto steige, habe ich das Gefühl, gegen eine Wand zu laufen.
Ich öffne die Haustür und trete in den Flur. Diese absolute Ruhe ist wie eine unsichtbare Barriere. Durchbrich sie nicht, flüstert es in meinem Kopf.
Unsinn!
Ich räuspere mich. Wahrscheinlich ist es so still, weil die Zwillinge schlafen. Ich schleiche hoch zum Kinderzimmer, öffne die Türen und schaue nach, aber die beiden liegen nicht in ihren Bettchen. Warum sind sie nicht da? Stefan wollte sich doch um sie kümmern. Es wird doch nicht schon wieder etwas passiert sein? Ich gehe die Treppe hinunter.
»Hallo?«, rufe ich jetzt, nachdem ich weiß, dass die Kinder nicht da sind, durchs Haus. Schließlich ist nur Anjas Auto weg, Stefan könnte irgendwo sein. Ich rufe noch einmal lauter, aber es passiert nichts. Vorsichtshalber gehe ich noch auf das Holzdeck und werfe einen Blick in den Garten, aber auch dort ist niemand zu sehen. Sieht so aus, als wäre ich wirklich alleine.
Meine Füße führen mich zum Sideboard, als wollten sie mein widerspenstiges Hirn davon überzeugen, dass jetzt die Gelegenheit günstig wäre, noch einmal ganz sicherzugehen, ob die Mappe mit den Artikeln nicht doch irgendwo in dem Schrank liegt.
Ich knie mich vor das Sideboard und beginne, es systematisch auszuräumen. Servietten, Besteckkästen …
»Was machst du denn da?«, flüstert eine Stimme hinter mir.
Ich fahre zusammen, als wäre ich beim Stehlen erwischt worden, und drehe mich langsam um, während mir das Herz bis zum Hals schlägt.
Zuerst nehme ich ihre nackten, zierlichen Füße
Weitere Kostenlose Bücher