Liebeskind
auch dieses Mal nicht in die Beziehung der beiden einmischen, schließlich war Anna erwachsen. Stattdessen wollte sie noch auf einen Wein hinüber zu Alfred in die Kneipe gehen. Tom war wirklich ein sympathischer Mann, für Paulas Geschmack allerdings ein bisschen zu ruhig. Und er ging Konflikten aus dem Weg. Tom schien vor allem Wert auf Harmonie zu legen, und das um jeden Preis. Wann immer eine Auseinandersetzung mit Anna, im Moment aber vor allem mit Ben anstand und ein klärendes Gespräch angesagt war, tat Tom so, als schiene noch immer die Sonne. Und wenn er damit nicht durchkam,entzog er sich oder spielte die beleidigte Leberwurst. Am liebsten wollte Tom eben immer jedermanns Freund sein. Auch ziemlich anstrengend, dachte Paula.
Wieder hatte sich Elsa an Paulas Fersen geheftet. Sie beobachtete, wie diese nun den „Maschener Hof“ betrat. Heute hatte Elsa Glück, denn sie fand einen Parkplatz, von dem aus sie einen Teil der Gaststube im Auge behalten konnte. Paula stand am Tresen und war sogleich von einer Horde junger Kerle umgeben. Elsa sah zu, wie Paula den Männern irgendetwas erzählte. Währenddessen lachte sie in einem fort, warf die Haare zurück und drehte sich in ihrem schwarzen Wollkleid, das ziemlich eng über ihrem Po saß, hin und her. Auf einmal kam Elsa ihre Mutter in den Sinn. Genauso hatte Vera ausgesehen, als sie sich damals mit ihrem viel zu kurzen weißen Rock auf Herrn Wegener vom MVV kapriziert hatte.
Nach einer Weile verließ Paula in Begleitung eines großen dunkelhaarigen Mannes den „Maschener Hof“. Wieder öffnete Elsa das Fenster auf der Fahrerseite ihres Peugeot.
„Komm doch mit, Paula, wenigstens auf ein Glas Wein. Hab einen echt guten da. Eigentlich war der für Weihnachten gedacht, aber viel lieber würde ich ihn jetzt mit dir trinken.“
„Nee du, ich hatte schon mehr als genug für heute. Ich muss jetzt wirklich nach Hause.“
„Dann lass mich dich doch wenigsten begleiten, wegen der Morde. Nur bis zur Haustür, ja?“
Die beiden gingen zu Paulas Geländewagen hinüber. Bevor sie einstieg, gab Paula dem jungen Kerl zum Abschied einen Kuss auf die Wange. Worauf er sie an sich zog und ihren Kuss leidenschaftlich beantwortete. Paula lachte,befreite sich aus seiner Umarmung und gab ihm einen Klaps auf den Hintern.
„Dieses Jahr ist dafür schon zu alt, Anton. Außerdem muss ich morgen früh raus, hab noch sehr viel vorzubereiten. Aber wir treffen uns im Januar und holen das nach“, versprach sie, setzte sich hinters Steuer und ließ den Motor an.
Elsa wartete, bis der freche Kerl verschwunden war, dann startete auch sie ihren Wagen. Für heute hatte Elsa genug gesehen, und so machte sie sich auf den Weg zurück in ihre Pension nach Ramelsloh.
War die Szene zwischen Paula und dem jungen Kerl, die sie vor ein paar Minuten auf dem Parkplatz vor dem Wirtshaus beobachtet hatte, wirklich real gewesen, oder hatte sich Elsa den Kuss der beiden nur eingebildet, weil sie in ihren Gedanken noch immer bei Vera gewesen war? Eine Frau wie Paula konnte sich doch unmöglich so an einen Kerl heranschmeißen, wie ihre Mutter es getan hatte. Warum zum Teufel hatte Paula überhaupt ein Kleid wie dieses angehabt? Das passte doch gar nicht zu ihr. Nein, Elsa versuchte, sich noch einmal genau ins Gedächtnis zurückzurufen, was in der Kneipe vorhin tatsächlich passiert war.
Aber über eines war sich Elsa ziemlich sicher, Paula hätte niemals ein Foto von ihr gemacht, wenn sie ihr gleichgültig wäre. Und nun würde sie zum großen Fest schon bald ohne Elsa in ihrem wunderbaren Haus sitzen und für sich allein eine Weihnachtsgans zubereiten. Alles nur, weil Elsa nicht rechtzeitig reagiert hatte. Paula musste unglaublich schüchtern sein. Warum sonst hatte sie Elsa nicht direkt zum Weihnachtsessen eingeladen und stattdessen als Zeichennur dieses Foto von ihr gemacht. Elsa lächelte in sich hinein, ja, Paula war tatsächlich genau wie sie. Aber diesmal würde Elsa nicht zögern, sondern Paulas hinter sympathischen Annäherungsversuchen versteckte Einladung annehmen. An diesem besonderen Tag würde sie auch die schwarze Hose tragen, die sie sich zusammen mit Paula gekauft hatte. Aber was für Blumen sollte sie ihr mitbringen? Elsa überlegte, was ihrer neuen Freundin wohl gefallen könnte. Weiße Lilien vielleicht?
Als Anna ihren Vectra an diesem Abend unter dem Carport ihres Hauses parkte, wäre sie anschließend am liebsten noch eine Weile im Auto sitzen geblieben, um für sich zu
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