Liebeskind
querfeldein über die Felder. Um diese Jahreszeit hatten die Bauern nichts dagegen, und auch Henry wusste genau, dass er, wenn das Getreide erst einmal gemäht war, darauf herumtollen durfte, so wie jetzt. Es war kalt, und der Schneeregen machte das Gehen nicht gemütlicher. Sie hatte vergessen, Handschuhe und Mütze mitzunehmen, der Windzerrte an ihren Haaren und ließ sie frösteln. Anna beschleunigte ihren Schritt und zwang sich, nicht darüber nachzudenken, was jetzt vielleicht gerade bei ihr zu Hause geschah.
Als sie wieder zurückkam, stand Jans Auto nicht mehr vor der Tür.
„Wo bist du gewesen“, fragte Tom mit ernster Stimme.
„Ich wollte euch die Gelegenheit geben, allein zu sein.“
„Wenn ich mit Jan allein sein wollte, hätte ich mich nicht hier mit ihm verabredet.“
„Ich habe es gut gemeint.“
Doch in seinen Augen konnte sie lesen, dass ihr guter Wille nicht bei ihm angekommen war. Für Tom musste ihr plötzlicher Aufbruch nach Flucht ausgesehen haben. War es denn Flucht gewesen? Anna füllte Henry frisches Wasser in seinen Napf, gab ihm einen Knochen und ging ins Wohnzimmer zurück.
„Wie ist es gelaufen?“
„Wir treffen uns morgen noch einmal in der Stadt.“
Sie öffnete die Kamintür, legte Anzünder und Holz hinein und zündete das Feuer an. Es war noch immer kalt im Haus. Und Eiseskälte herrschte auch zwischen ihnen.
Ein ungemütlicher Tag, dieser Sonntag. Draußen war alles grau, es regnete in Strömen, und die Wassermassen wischten auch noch den letzten Rest von Schnee beiseite. Hinterließen nichts als Matsch und Traurigkeit. Am liebsten wäre Anna im Bett liegen geblieben, doch sie hatte sich aufgerafft, um das Frühstück für ihre Familie zuzubereiten. Danach war Tom in die Stadt gefahren und die Jungen zum Sport, nur Anna saß noch immer in der Küche herum. Die Ruhe im Haus, die sie sonst so sehrgenoss, war plötzlich zu ihrem Feind geworden. Sie sah sich um, starrte die Dinge an, mit denen sie sich selbst umgeben hatte, und dachte an Jan. Warum hatte Tom sie nicht einfach in den Arm genommen? Vielleicht war es ein Fehler gewesen, sich gestern so ohne Worte aus dem Staub zu machen, trotzdem hätte sie von Tom ein wenig mehr Verständnis erwartet. War das hier wirklich ihr Platz im Leben? Zum Teufel mit der Grübelei. Anna lud Henry und zwei Eimer voller Boskopäpfel in ihren Wagen und machte sich auf den Weg zu Paula. Vielleicht würde ihr ja eine Apfelmusschlacht über ihre melancholische Stimmung hinweghelfen.
„Kannst du dich nicht mal am Wochenende zusammenreißen, Torsten? Hast noch immer eine Fahne von gestern.“
Marianne Lorenz sah ihren Mann angewidert an.
„Wenn du zu Hause bist, rennst du unrasiert und in ausgelatschten Jogginghosen herum, aber draußen spielst du den amüsanten Verführer. Ich glaube kaum, dass dich eines deiner Flittchen geschenkt haben wollte, könnte es dich jetzt so sehen.“
Marianne machte auf dem Absatz kehrt. Im Hinausgehen rief sie noch: „Wenigstens zum Essen solltest du dich umziehen. Denk an die Kinder.“
„Ach, lass mich doch in Ruhe, alte Ziege!“ Torsten Lorenz warf die Zeitung auf den Fußboden, und zwanzig Minuten später krachte die Haustür der Lorenzens ins Schloss. Torsten stieg in seinen Wagen und fuhr, ohne sich noch einmal umzusehen, mit quietschenden Reifen davon. Marianne, dieses Biest, brachte ihn sogar dazu, auch noch am Sonntag ins Geschäft zu fahren. Eigentlich hatten siesich für heute vorgenommen, einen Ausflug zu unternehmen, aber er sah nicht ein, Marianne für ihre Frechheiten auch noch zu belohnen. Sollte sie doch zusehen, wo sie mit ihren Blagen blieb. Schließlich war sie diejenige gewesen, die unbedingt Kinder hatte haben wollen. Er verdiente immerhin das Geld für sie alle, das war mehr als genug. Da musste sie schon einen Sonntag lang in der Lage sein, die beiden Gören allein bei Laune zu halten. Und heute würde er auch nicht nach Hause kommen, um ihren schlecht gewürzten Braten zu essen. Seine Alte, ständig mäkelte sie an ihm herum, dabei fehlte es ihr an nichts. Kein Wunder, dass ihn schon so mancher Rock in Versuchung geführt hatte. Jetzt war Marianne auch noch dazu übergegangen, ihn zu ignorieren. Es wurde Zeit, dass sie endlich zur Vernunft kam, er konnte auch anders. Torsten Lorenz wusste, wie man mit Frauen umging.
Elsa sah ihren Liebsten davonfahren, dann verwischte sich das Bild. Der Traum fing an, sie bis hinüber in ihre wache Welt zu verfolgen. Elsa hielt am
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