Liebeskind
Fußboden neben dem Opfer entdeckt. Wir warten dazu noch auf die Analyse der kriminaltechnischen Untersuchung, es wird aber wohl noch ein paar Tage dauern, bis die Spuren zeitlich genau datiert werden können. Schließlich ist es doch sehr unwahrscheinlich, dass Torsten Lorenz etwas mit seinem Mörder getrunken hat, bevor er sich abschlachten ließ.“
„Für mich passt das sehr wohl ins Bild“, stellte Anna fest. „Ich glaube immer mehr daran, dass wir beim Tätervon einer Frau und nicht von einem Mann ausgehen müssen.“
Sigrid Markisch zog eine ihrer akkurat gezupften Augenbrauen hinter ihrer Zickenbrille hoch.
„Warten wir erst einmal das Ergebnis ab. Können wir jetzt fahren, Frau Greve? Sie wollten sich doch schnellstmöglich den Tatort in Maschen ansehen. Was ist mit Ihnen, Kollege Weber, begleiten Sie uns?“
Weber warf Anna einen hilflosen Blick zu.
„Ist schon gut, ich mache das allein“, erwiderte Anna gelassen. „Und falls Ihnen Herr Bertram in der Zwischenzeit auf die Nerven gehen sollte, konzentrieren Sie sich einfach auf ein paar Atemübungen.“
Elsa in Maschen, im Herbst 1984.
Doreen, wie schön dieser Name klang. Stets war sie gut gelaunt und hatte Freundinnen, so viele sie nur wollte. Ihre blonden Haare fielen ihr weich auf die Schultern, rochen nach Zitrone und sahen immer aus wie frisch gekämmt. Dann ihr Gesicht, ebenmäßig, hell, fast wie die gute Fee aus einem Märchenbuch. Auf jeden Geburtstag wurde Doreen eingeladen, aber sie war kein bisschen eingebildet deswegen. Im Gegenteil, sie schien eine Schwäche zu haben für Kaputtes, für Hässliches. Wie konnte es sonst angehen, dass sie nur noch mit Elsa zusammen sein wollte? Fast schien es Elsa, als hätte das sanfte Wesen von Doreen schon begonnen, auf sie abzufärben. Wenn sie nun manchmal lächelte, war es mehr als nur eine verstellte Grimasse. Dann stand sie am Morgen auf und wusste nicht, wohin vor Freude auf den vor ihr liegenden Tag. Kam singend die Treppe zur Küche hinunter, setzte sich zum Frühstück und fing an, Schulbrote für die anderen zu schmieren. Noch traute sich Vera nicht, die Hand nach ihrer Tochter auszustrecken. Schien ständig Angst zu haben, sie könne von scharfen Zähnen gebissen werden. Warum nur war Vera so misstrauisch? Sie konnte ruhig anfangen zu glauben, dass Elsa auch ihr etwas Gutes tun wollte. Endlich hatte sie eine Freundin gefunden. Elsa war nicht mehr allein. Ihr Herz war leicht und die Holzschachtel schon lang nicht mehr geöffnet worden. Die Farben waren plötzlich nicht mehr nur bei den Glasscherben. Die Farben waren jetzt bei ihr. Sie hatten an Kraft gewonnen, ja an Leben.
Sigrid Markisch parkte den Wagen direkt vor Torsten Lorenz’ Fabrik im Gewerbegebiet von Maschen. Anna hatte diese Gegend auf ihrem Weg zum Hundefutterladen bisher immer schnell hinter sich gelassen. Deshalb sah sie das rechteckige, mit grauen Eternitplatten verkleidete Gebäude heute zum ersten Mal richtig. Der Regen jenseits der Fensterscheibe war wie eine Wand. Anna stieg aus dem Auto und ging die paar Meter zum Eingang hinüber, ohne einen Schirm aufzuspannen. Sie schien nicht zu bemerken, wie sich ihre Haare nass um ihr Gesicht legten, Anna war hochkonzentriert. Sie wusste, wenn sie sich anstrengte, würde es ihr vielleicht gelingen, irgendein Detail zu entdecken, das die anderen bisher übersehen hatten. Schon stand sie neben Sigrid Markisch in der Fabrikhalle und sah sich um. Vor den großen Regalen, die eine Ecke der Halle abteilten, blieb sie stehen und registrierte den mit Kreide auf den Boden gezeichneten Umriss eines menschlichen Körpers. Hier war es also geschehen, und eines dieser massiven Metallelemente hatte Torsten Lorenz unter sich begraben. Anna überlegte. War es einer Frau überhaupt möglich, ein solches Regal ohne fremde Hilfe zum Umfallen zu bringen? Anna wollte es sofort ausprobieren.Also zog sie ihren nassen Mantel aus, öffnete ihre Werkzeugkiste und machte sich an die Arbeit.
Woraufhin sich Sigrid Markisch sofort zu Wort meldete. Sie verfolgte jeden Handgriff ihrer Kollegin, schien aber offensichtlich nicht vorzuhaben, mit anzupacken.
„Der Pathologe sagt, Torsten Lorenz sei nicht durch den Aufprall des Regals auf seinen Körper getötet worden. Seine Beine waren zwar gebrochen und er hatte innere Verletzungen, aber den Todesstoß hat man ihm durch zwei harte Schläge auf den Kopf versetzt. Als Tatwaffe kommt ein schwerer, metallener Gegenstand in Frage.“
Anna hielt inne und
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