Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)
von verschwundenen jungen Frauen sowie ungeklärte Morde an Frauen im norddeutschen Raum während der letzten zehn Jahre werden überprüft. Plötzlich ist die Rede von vier oder fünf Opfern. Allerdings gibt es keine Beweise. Die Staatsanwaltschaft gibt ein psychologisches Gutachten in Auftrag, das von Professor Dr. Knut Zihlmann von der Medizinischen Hochschule Hannover erstellt wird. Im September 1996 findet die Verhandlung vor dem Landgericht Hannover statt. Es droht ein langwieriger Indizienprozeß zu werden. Fellers Verteidiger plädiert auf Freispruch aus Mangel an Beweisen. Professor Zihlmann bescheinigt Lukas Feller eine egozentrische, teilweise soziopathische Persönlichkeit, jedoch die volle Schuldfähigkeit. Am fünften Prozeßtag gesteht der Angeklagte überraschend die Tötung seiner Klientin: »Es gab Streit, ich bin wütend geworden und ausgerastet.« Mehr sagt er nicht. Sein Anwalt muß mitten im Prozeß die Strategie ändern – ein Alptraum für jeden Strafverteidiger. Ihm bleibt nur, auf Totschlag zu plädieren. Der Staatsanwalt bezweifelt dies aufgrund der Tötungsart und der Tatsache, daß der Toten die Haare abgeschnitten wurden. »Das ist nicht die Sprache eines im Affekt Handelnden, sondern die eines eiskalten Mörders.« Nach insgesamt neun Verhandlungstagen verkündet Richter Otto Furrer das Urteil: lebenslange Haft wegen Mordes.
Mathilde starrte regungslos aus dem Fenster. Es hatte zu regnen begonnen, Tropfen tanzten auf dem Fensterbrett. Dann zwang sie sich, die restlichen Fotos zu betrachten. Johanna Gissel, ein hübsches Mädchen mit einem frechen Lächeln. Von Ann-Marie-Pogge gab es nur ein Paßbild: dunkles Haar, volle Wangen, ein eher unauffälliger Typ. Ein professionelles Studiofoto von Petra Machowiak: schmales Gesicht, elegante Züge, ein über die nackte Schulter zurückgeworfenes, laszives Lächeln. Eine Frau, die wußte, wie sie auf Männer wirkte. Eine Frau, dachte Mathilde, die heute etwa in ihrem Alter wäre, eine Frau, die nie wieder reden, lachen, Musik hören würde, nie wieder einen Sonnenuntergang sehen würde, nicht einmal durch ein Gitter. Gab es überhaupt eine angemessene Strafe für eine solche Tat? War es nicht gerechter zugegangen, als Mörder noch gehängt wurden? Und ist es richtig, daß sie nach einiger Zeit wieder unerkannt unter uns leben, vielleicht beim Bäcker vor einem stehen oder in der Stadtbahn neben einem sitzen?
Drei Frauen, ganz unterschiedlich, zwei tot, eine vermißt. Ob die Studentin inzwischen aufgetaucht war? Tot? Lebendig? Waren tatsächlich alle drei Frauen Opfer von Lukas Feller, wie der Artikel suggerierte? Gab es vielleicht noch mehr?
Es existiert allein, was bewiesen werden kann, meldete sich die Naturwissenschaftlerin in Mathilde. Alles andere waren Vermutungen, Möglichkeiten, Theorien von Journalisten und frustrierten Ermittlern. Ihr Kopf schmerzte. Sie zog sich Sportsachen an, ging raus und rannte durch die Eilenriede, bis ihre Lungen schmerzten.
»Kaffee?«
Lukas nickte. Sie schenkte ihm einen Becher ein. »Noch immer schwarz?«
»Noch immer schwarz und mit einem Glas Wasser.«
Sie stellte das Gewünschte vor ihn auf den Tisch.
»Du siehst so erwachsen aus«, sagte Lukas, der sie ungeniert von oben bis unten betrachtete. »Wo sind deine schönen langen Haare geblieben?«
Sie sah ihm direkt ins Gesicht, antwortete aber nicht.
»Du hast lange gebraucht.«
»Wozu?«
»Um hierherzukommen.«
»Es gab hier eine geeignete Stelle für mich. Das hat nichts mit dir zu tun«, sagte Treeske, die unwillig registrierte, daß es ihm schon nach wenigen Sekunden gelungen war, den Lauf der Unterhaltung zu bestimmen.
Lukas trank von seinem Kaffee.
»Köstlich. Sag bloß, du kaufst nach wie vor meine Lieblingssorte von der kleinen Rösterei in Linden?«
Treeske fühlte ihren Ärger wachsen und antwortete: »Ich trinke ihn, weil er mir schmeckt.«
»Warum bin ich hier, Treeske? Ist das nicht leichtsinnig, so ganz ohne Bewachung und Fesseln?«
Sie zog den Zopf aus dem Umschlag und warf ihn auf den Schreibtisch.
»Deswegen.«
Er nahm den Zopf, besah ihn von allen Seiten und legte ihn wieder hin.
»Hübsch.«
»Was soll das?«
»Das war ein Scherz«, erklärte Lukas.
»Ein weiterer Scherz dieser Art wird Konsequenzen haben, das verspreche ich dir.«
Das ironische Lächeln, das während der ganzen Zeit in seinen Mundwinkeln gehockt hatte, verschwand. Seine Augen wurden kalt wie Glas.
»Droh mir nicht.«
Er stand auf.
»Setz
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