Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
möge es Gili ersparen, das ist nichts für Kinder, und dann wunderst du dich, dass er nachts Albträume hat. Manchmal drängte er ihn grob, los, wie lange dauert es noch, bis du dich angezogen hast, ich gehe gleich ohne dich, und manchmal ließ er sich von irgendeinem Telefongespräch so lange aufhalten, dass Gili schon an der Tür stand und wartete, mit vor Nervosität zitternden Lippen, weil es immer später wurde. Und so, indem ich einen ganzen Tag unseres früheren Lebens betrachte, versuche ich, mich zu bestärken, der Entscheidung, die schon nicht mehr zu ändern ist, neuen Nachdruck zu verleihen, lass dir Zeit, sage ich mir, zweifle nicht so schnell, es ist dein gutes Recht, mehr zu erhoffen, es ist dein Recht, dein Leben zu ändern, das Tor ist offen, das Hindernis ist entfernt, warum gehst du nicht hindurch?
Lass dir Zeit, murmle ich laut vor dem Computer, der im Schlafzimmer blinkt, lese wieder den Bericht von einer Ausgrabung, an der ich nicht teilgenommen habe, den letzten Bericht eines griechischen Archäologen, bevor er in einem der Zimmer, die er freilegte, den Tod fand, dort in Thera, der zerbrochenen Insel, er verbindet, ohne es zu wissen, seine Katastrophe mit der Katastrophe der minoischen Kultur, ein leises, aber tödliches Echo des Erdbebens, das die alte Welt veränderte.
Lass dir Zeit, sage ich mir auf dem Weg zur Schule, außer Atem komme ich mit leichter Verspätung an, zu meiner Freude ist das Tor offen und der Wachmann anscheinend schon gegangen, ein paar Kinder gackern noch im Hof herum wie verlassene Küken, aber Gili ist nicht unter ihnen, und ich frage die Lehrerin, wo ist mein Sohn, und sie erklärt mit fester Stimme, er ist draußen, oder? Sie schneidet mit einem dünnen Messer saure grüne Äpfel in Stücke, ich nehme mir einen Schnitz und gehe wieder hinaus in den Hof, von weitem sehe ich ihn auf einem Steinhaufen am Rand des Hofs sitzen, er hat einen langen Stock in der Hand und kratzt etwas in die trockene Erde zu seinen Füßen, ich renne zu ihm, he, mein Schatz, endlich habe ich dich gefunden, komm, gehen wir nach Hause, aber als er den Kopf hebt, sehe ich, dass es ein anderer Junge ist, mit einem hageren, erwachsenen Gesicht, leicht aufgeplatzten Lippen und schmalen Schultern. Jotam, frage ich, wo ist Gili, und er antwortet grollend, ich weiß es nicht, ich bin nicht mehr sein Freund. Ich meine auf seiner Stirn noch die Abdrücke der dunklen Küsse vom Schabbatmorgen zu sehen, die Sternenküsse seines Vaters, und ich stehe da, im Hof, und fange an zu rufen, Gili, wo bist du, aber er antwortet nicht, und wieder senkt sich die Finsternis über mich, Gili, wo bist du, vielleicht ist er hinausgegangen, um auf der Straße auf mich zu warten, und jemand hat ihn entführt, vielleicht hat er sich verirrt, vielleicht ist er in der Masse der Kinder verschwunden.
Die Blicke besorgter Mütter folgen mir, sie versuchen, mir Ratschläge zu geben, ich entdecke Michal unter ihnen, aber ich bleibe nicht bei ihr stehen, mit klopfendem Herzen kehre ich zur Lehrerin zurück, wo ist mein Sohn, und sie lässt endlich die Äpfel liegen, geht, das Messer noch in der Hand, in den Hof, Gil’ad, ruft sie und fuchtelt mit dem Messer durch die Luft, das Gefühl von Schuld und Angst ist ihren Bewegungen schon anzumerken, vielleicht ist er auf der Toilette, schlägt sie vor, vielleicht ist er mit einem Freund mitgegangen, und ich werfe ihr vor, er hat hier noch keinen Freund, als wäre auch das ihre Schuld, und in der Toilette habe ich schon nachgeschaut.
Langsam verlassen die Mütter den Hof, ihre Kinder fest an der Hand, als wären sie kleine heilige Amulette, nur Michal bleibt zögernd am Tor stehen, Jotam neben sich, der ausdruckslos beobachtet, was geschieht, gleichgültig gegen das Schicksal des Jungen, der ihn enttäuscht hat, und sie sagt, mach dir keine Sorgen, Ella, das Schulgelände ist eingezäunt, es gibt einen Wachmann, er kann gar nicht unbemerkt hinausgegangen sein, und dann entschuldigt sie sich, ich muss Maja vom Ballett abholen, ich rufe dich später an, und nur die Lehrerin und ich bleiben im Klassenzimmer zurück, ohne ein Kind, um das man sich kümmern kann, dem man einen Apfel anbietet, dem man die Nase putzt, auf das man aufpasst, damit es nicht von der Schaukel fällt, ich stehe da, mit trockenem Mund und zitternden Händen, suche nach Spuren, lausche auf jedes Geräusch, und mir scheint, als hörte ich auf dem verlassenen, kinderleeren Hof noch das Echo der Stimme meines
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