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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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das mir jetzt wie ein schmaler dunkler Weg vorkommt, voller Schlaglöcher und Hindernisse, ein Weg, der nur dazu bestimmt war, mich zu diesem Moment zu führen, zu dieser Wohnung, zu diesem Mann, und leichtsinnig wische ich mit der Hand all die Jahre meines Lebens weg, als hätte es bisher keine einzige bedeutende Minute gegeben, als wäre kein einziger Faden von meinem früheren zu meinem jetzigen Leben gespannt worden, und mit dem Stolz desjenigen, der aus einer Katastrophe errettet wurde und glaubt, sein Glück sei beschlossene Sache, wiederhole ich, was spielt das für eine Rolle, ich werde mich nie mehr beklagen, über nichts, und er betrachtet mich amüsiert, Versprechungen, die im Bett gegeben werden, sind nicht viel wert, das weißt du. Seine Hände spielen mit meinen Haaren wie ein Kind, das wieder und wieder das Fell der Katze streichelt und auf das beruhigende Schnurren wartet.
    Der erstickte Schrei eines fliehenden Vogels steigt plötzlich aus der Tiefe meiner Handtasche auf, verblüfft mich gerade dadurch, dass er mir so vertraut ist, und ich wühle in meiner Tasche, nur um zu sehen, ob es Gili ist, aber auch als ich sehe, dass es sich um eine andere Nummer handelt, gehe ich ran, ich höre ihre raue, immer durchdringende Stimme, wo bist du, Ellinka, du bist den ganzen Tag nicht zu Hause, beklagt sich meine Mutter, und ich sage, ich bin bei Freunden, und sie fragt, Freunden von Gili, als hätte ich schon keine eigene Existenz mehr, und aus irgendeinem Grund antworte ich, ja, und sie fragt, erinnerst du dich daran, dass wir ausgemacht haben, dass ihr heute zu uns zum Essen kommt, du und der Junge, und ich habe es natürlich vergessen, vermutlich habe ich gedankenverloren eingewilligt und nicht daran gedacht, dass Gili an diesem Wochenende überhaupt nicht bei mir ist. Also kommt um sieben, sagt sie, ich habe für ihn den süßen Auflauf vorbereitet, den er so gern hat, und ich bestätige es kurz angebunden, weise sie nicht auf den Irrtum hin, auf die veränderten Pläne, ich füge mich in die Einladung, die sich vor mir auftut wie ein Urteilsspruch, dem ich mich nicht entziehen kann, denn in mir wächst die Lust, sie heute Abend zu überraschen, sie mit meinem neuen, unerwarteten Glück zu provozieren, den Segensspruch, der mir hier zuteil wurde, dem Fluch entgegenzustellen, der in ihrem Haus über mich gesprochen wurde.
    Ich wende mich mit einer weichen Stimme an ihn, Oded, ich habe etwas für uns vor, ich hoffe, du hast nichts dagegen, und er ist überrascht, wirklich, ich hoffe nur, dass keine anderen Menschen beteiligt sind, und ich sage, nicht viele, nur zwei, ein Paar, und er protestiert, Ella, du musst mich fragen, bevor du so etwas ausmachst, ich sehe die Woche über so viele Leute, dass ich am Wochenende allein sein muss, und ich sage, ich hatte es ganz vergessen, und jetzt kann ich nicht mehr absagen. Na gut, meinetwegen, sagt er seufzend, um wen geht es? Er hebt mein Kinn, das ich schon beleidigt gesenkt habe, zu sich hoch, und ich sage, um meine Eltern, ich möchte, dass wir zum Abendessen zu meinen Eltern gehen, und er weicht zurück, findest du nicht, dass es noch zu früh ist, mich wie einen neuen Bräutigam vorzuführen? Aber ich bleibe stur, wenn es dir nicht zu früh vorkommt, mit mir zu schlafen, dann ist es auch nicht zu früh, mit mir zu meinen Eltern zu gehen.
    Was hat das eine mit dem anderen zu tun, murrt er, woher hast du diese bürgerlichen Vorstellungen, wen willst du bestrafen, wissen sie überhaupt, dass du nicht allein kommst? Natürlich wissen sie das, sage ich, und er schnaubt unwillig, lass mich darüber nachdenken, ich gehe duschen. Sein schmaler Rücken bewegt sich steif, als könnte eine unvorsichtige Bewegung die alte Wunde auf seiner Brust aufreißen, und ich wickle mich in die Decke und stelle mich ans Fenster, der Wind bewegt die Baumwipfel, als wären sie eine Herde riesiger Tiere, die nachts zum Leben erwachen und sich in der Dunkelheit langsam vorwärts bewegen, morgen werden sie schon woanders sein, und ich wende das Gesicht und betrachte vom Fenster aus das Zimmer, in dem ein einziges Sofa steht, dicht an der Wand, und versuche, in der Vorstellung die Möbel aus meiner Wohnung herzubringen, sie wiegen nicht viel, schweben durch die Luft, ein Sofa und zwei Sessel und ein orangefarbener Baumwollteppich, und Bücherregale, in denen sich traurige leere Fächer auftun wie Augenhöhlen, und hinter ihnen flattert ein Junge mit herbstlaubfarbenen Augen, die Hände

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