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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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Überrest der Vergangenheit, als versteinertes Volk, das sich selbst isoliert, er wendet sich an Oded, was halten Sie von diesem Thema, aber er hat kein ehrliches Interesse an der Meinung seines Gegenübers, er stellt die Frage, um ihn zu beschämen, er wirft mir einen Blick zu, als wollte er mich daran erinnern, dass er immer klüger sein wird als irgendein Freund, den ich mitbringe, es gibt an diesem Tisch keinen Platz für einen anderen Menschen, den hat es nie gegeben, hier ist nur Platz für ein schweigendes, achtungsvolles Publikum. Wie habe ich diese Mahlzeiten gehasst, jeden Abend wieder, das Erstickungsgefühl, das mich in seiner Anwesenheit immer befallen hat, denn wenn ich versucht habe, eine andere Meinung als seine vorzubringen, hat er mich wütend unterbrochen, er war nur bereit, mich als seine Widerspiegelung zu akzeptieren, es hat den Anschein, als könnte ich nur mit Gili einigermaßen ruhig an ihrem Tisch sitzen, indem ich ihn als menschlichen Schild benutze, aber der ungebetene Gast fürchtet sich nicht vor ihm, so wie ich es tue, und er neigt auch nicht zum Streit, wie sich herausstellt, ich glaube, es handelt sich hier um eine Korrelation zwischen Reiz und Reaktion, sagt er ruhig, wenn die reagierende Partei von einer krankhaften Empfindlichkeit dem aufreizenden Element gegenüber befallen ist, dann ist das zweifellos eine Verselbstständigung der Reaktion, er konzentriert sich wieder auf seinen Auflauf, legt allmählich die Ungeheuer auf dem Teller frei, das eine reckt den langen Schnabel, das andere fletscht die Zähne, und ich überlege, ob er an unsere Abmachung denkt oder ob er sich gegenüber Fremden immer so verhält, beherrscht, verschlossen, unverbindlich.
    Und trotzdem, man kann die äußerst gefährliche Zunahme des neuen Antisemitismus unmöglich ignorieren, denn er ist schon bis in die akademischen Kreise eingedrungen, auch in der israelischen Öffentlichkeit, sagt mein Vater, sogar mit Amnon und Ella hatte ich bereits einige Auseinandersetzungen darüber, und als er Amnon und Ella sagt, verlangsamt sich sein Redefluss erstaunlicherweise, er räuspert sich, nimmt einen Schluck Wasser und wendet sich anklagend an meine Mutter, ich glaube, ich habe eine Gräte verschluckt, hast du nicht gesagt, der Fisch sei ohne Gräten? Sie verteidigt sich sofort, ich habe gesagt, fast ohne Gräten, ich bin doch nicht für jede Gräte verantwortlich, und ich sage, wenn du sie verschluckt hast, ist es doch egal, vergiss es, und er trinkt ängstlich Wasser, sein Adamsapfel bewegt sich nach oben und unten, ich glaube, sie steckt noch fest, verkündet er mit besorgter Stimme, als wäre damit sein Schicksal besiegelt, und ein heftiger Husten schüttelt ihn, aber als meine Mutter aufsteht und ihm mit aller Kraft auf den Rücken schlägt, fährt er sie wütend an, was machst du denn da, Sarah?
    Nehmen Sie ein Stück Brot, schlägt Oded höflich vor, macht zum ersten Mal freiwillig den Mund auf, das könnte helfen, und meine Mutter bricht schnell ein Stück vom Weißbrotzopf ab und hält es meinem Vater hin, wir alle schauen zu, wie er es vorsichtig kaut und schließlich hinunterschluckt, langsam und bedächtig, und wieder fängt er an zu husten, bis seine Augen tränen und sein glattes Zinngesicht eine bläuliche Farbe annimmt, und sie umkreist ihn verzweifelt, was machen wir, David, probier es noch einmal mit Brot, und er zischt sie mit schwacher, ungeduldiger Stimme an, ich habe schon einen halben Zopf gegessen, es hilft nichts, und der vorübergehende Verlust seiner lauten klangvollen Stimme wischt den stolzen, selbstzufriedenen Ausdruck aus seinem Gesicht, seine Augen sind rot und feucht, er greift sich mit der Hand an den Hals, schreckt zurück vor dem Schmerz. Vielleicht sollten wir zur Notaufnahme fahren, Davidi, schlägt meine Mutter vor, man muss sie dir herausziehen, und er schnauzt sie an, nenn mich nicht Davidi, und außerdem gehe ich nicht zur Notaufnahme. Seine Stimme wird von Sekunde zu Sekunde schwächer, als würden die Stimmbänder bald zerreißen, und zu meiner Überraschung sehe ich, wie Oded von dem Stuhl mit Gilis Kissen aufsteht und sagt, lassen Sie es mich probieren, haben Sie eine Taschenlampe und eine Pinzette? Meine Mutter rennt los, um die verlangten Gegenstände herbeizuholen, und hält sie ihm sogleich hin, wie die gehorsame Assistentin eines Zahnarztes.
    Die Augen meines Vaters folgen angstvoll dem Geschehen, es ist deutlich, dass er keine Lust hat, seine Kehle den Händen

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