Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)
Robert immer als Letzter kam, fiel das Bild, das sie bis eben noch von ihm gehabt hatte, in sich zusammen.
Roberts Stimme klang nicht so, wie sie sie beim Aufwachen noch gehört hatte. Seine Art, zu reden, sich zu bewegen, war zielstrebiger und besaß gar nichts Liebevolles, Sanftes mehr. Er lachte eher selten, nur ab und zu lächelte er flüchtig, wenn jemand in der Runde eine witzige Bemerkung in die Debatte warf.
Der Robert in ihrer Fantasie hatte mit dem im wirklichen Leben nichts gemeinsam.
Jede Nacht vergaß sie das, und jeden Morgen musste sie es von neuem begreifen lernen.
Früher war er nach jeder Besprechung mit den Anderen in die Kantine zum Frühstück gegangen, aber das tat er schon sehr lange nicht mehr. Er zog sich in sein Büro zurück, und Begegnungen mit ihm beschränkten sich auf die wenigen Gelegenheiten, wenn es Geschäftliches zu klären gab.
Sie war eine junge Frau, die man auf einer einsamen Insel ausgesetzt hatte. Warum weigerte sie sich, das zu erkennen? Sobald ihr Arbeitstag offiziell vorüber war, wartete sie immer wieder darauf, dass auch Robert sein Büro verließ, aber er tat es einfach nicht.
Er arbeitete manchmal bis kurz vor Mitternacht, gerade so, als wollte er ihr oder wem auch immer keinesfalls die Gelegenheit geben, ihm Gespräche aufzudrängen, die er nicht wollte.
Es war völlig offensichtlich und dennoch war sie nicht fähig, es zu akzeptieren. Er hatte sie aus ihrem Leben gestrichen, während sie nie mehr von ihm loskommen würde, das wusste sie.
In tausend schlaflosen Nächten würde sie immer wieder daran denken müssen, was zwischen ihnen gewesen war, und alle diese Nächte würde sie alleine verbringen, weil ein Mann wie Robert Debus in einer Million Jahren keinen einzigen Gedanken mehr an sie verschwenden würde.
Das hätte sie eigentlich wissen müssen, bevor sie mit ihm schlief. Und wann immer sie das dachte, spürte sie, wie ein Zittern sie überfiel und die tiefste aller je erlebten Demütigungen sich noch stärker in ihr manifestierte.
Wenn sie abends in ihre Wohnung zurückkehrte, ausgelaugt und am Rande des Zusammenbruchs, dann schlug sie die Haustür so heftig hinter sich zu, dass die Luft noch lange danach bebte.
Der schrecklichste Moment jedoch wartete noch auf sie, nämlich wenn sich danach die Stille über alles herab senkte wie ein großes, schweres Tuch, und alle Räume leer und tot wirkten. Nur hin und wieder hörte man das Knacken irgendeines uralten trockenen Deckenbalkens.
Ihr Vater hatte es gut gemeint, als er ihr das kleine, alte Ganghaus in der Altstadt kaufte. Sie sollte es sich nur recht gemütlich machen, hatte er sie ermuntert, doch sie, die immer nur den Blick auf das weite Wasser und großzügige Räume gekannt hatte, drohte ganz allmählich in dem Häuschen zu verkümmern.
Sechzig Quadratmeter auf drei Ebenen. Ein kleiner Dachgarten.
Draußen vor der Tür altes Kopfsteinpflaster. Die Fenster winzig, die Mauern aus Backstein, viel Gebälk im Haus, eine steile Holztreppe – das war schon alles und es schien mit jedem Tag enger, bedrückender, bedrängender zu werden.
Und jeden Abend legte sie sich alleine in ihr Bett und hatte wieder nichts geklärt. Sie fühlte sich in ihrer eigenen Haut fremd, bis sie ein weiteres Mal anfing, jenen Traum herauf zu beschwören, der ihr treuer Begleiter geworden war, eine Art Hoffnungsballon, allerdings schon viel zu lange und viel zu stark aufgeblasen.
An einem Abend im Oktober hatte sie damit angefangen, Robert zu folgen. Sie hatte auf ihn gewartet, bis er das Firmengebäude verließ – das war um halb Zehn gewesen – und folgte ihm dann in einigen Abstand in ihrem Wagen.
Er machte Halt in einem Bistro, trank einen Kaffee, aß ein Croissant, kehrte zurück zu seinem Auto und nahm dann den direkten Weg nach Hause.
Sie parkte gegenüber unter einer alten Zeder, sah, wie Robert das Haus betrat, in dem er das riesige Penthouse ganz alleine bewohnte, seitdem Sarah ihn verlassen hatte.
Sie beobachtete, in welchen Räumen er Licht machte und welche im Dunkeln blieben. Sie sah ihn hin und her gehen, bis er irgendwann die Vorhänge zuzog.
Dann wusste sie, dass er jetzt schlafen ging und wünschte sich nichts sehnlicher, als neben ihm liegen und ihn über Sarahs Verlust hinweg trösten zu dürfen. Manchmal weinte sie auch ein bisschen, aber nicht zu sehr, denn eigentlich hatte sie es sich längst abgewöhnt, um einen Mann zu weinen.
Von nun an folgte sie Robert, verfolgte ihn. Sie kannte sehr
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