Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)
Zigaretten ab und warf Jens einen letzten, verächtlichen Blick zu.
„Schleimer“, sagte sie nur. Dann verließ sie den Raum durch eine zweite Tür, die direkt auf einen Flur und von dort zum Parkplatz führte, wo Cornelius seine große, schwere Luxuslimousine geparkt hatte.
Die Autoschlüssel hatte Kitty, denn ihr Vater liebte es, sich bei solchen Anlässen von seiner Tochter chauffieren zu lassen. Sie fand es meistens lästig, doch was sie jetzt laut fluchen ließ, war nicht der Zorn auf den Vater, sondern die Feststellung, dass die zerknitterte Packung in ihrer Manteltasche bis auf ein paar Tabakkrümel leer war.
Kitty lechzte nach der Droge Nikotin. Also öffnete sie die Tür zum Beifahrersitz des Wagens, stieg ein, schloss die Tür hinter sich und öffnete eilig das Handschuhfach.
Hier lagerte sie regelmäßig mindestens eine Packung Zigaretten ein – nur für den Ernstfall, wie ihr Vater es immer nannte. Was er damit genau meinte, wusste Kitty nicht. Aber das war eben seine Art von Humor. Er wollte sie damit wohl immer wieder daran erinnern, dass in diesem Auto nicht geraucht wurde. Diesem Wunderwerk der Technik durfte nicht der geringste Schaden zugefügt werden, welcher Art auch immer.
Sie hatte die ungeöffnete Zigarettenpackung auch gleich gefunden. Hastig riss sie ein Streichholz an, öffnete gleichzeitig automatisch das Seitenfenster einen Spalt breit und lehnte sich dann mit einem Seufzer der Erleichterung, ja, der Erlösung im weichen Ledersitz zurückfallen.
Endlich allein, dachte sie immer wieder mit geschlossenen Augen, während sie den Zigarettenrauch nach rechts durch das – eine Handbreit geöffnete – Fenster in die kalte Nacht hinaus blies.
Jetzt noch einen Drink, spann Kitty in Gedanken weiter. Am besten einen Whisky. Sie erinnerte sich prompt, dass Paul, der gewitzte Gauner, manchmal eine silberne Taschenflasche mit amerikanischem Whisky im Handschuhfach aufbewahrte. Für den Ernstfall, hatte er auch in diesem Fall als Erklärung parat, als Kitty ihn daran erinnerte, dass er bei einer Verkehrskontrolle mit der Begründung nicht durch kommen, sondern die Polizei seinen Führerschein kassieren würde.
Sie öffnete erneut das Handschuhfach, in dem eine ziemliche Unordnung herrschte, wie sie fand, während sie sich mit der linken Hand durch irgendwelche achtlos hineingestopften Papiere, zusammengeknülltes Silberpapier einer Tafel Schokolade sowie mehrere Reisekataloge über Thailand wühlte.
Dann fühlte sie plötzlich glattes, kühles Metall und wollte schon triumphieren. Die Whiskyflasche! Doch als sie sich das, was sie ertastet hatte, beim matten Lichtschein der Straßenbeleuchtung näher ansah, erkannte sie ein silbern schimmerndes Etui, ähnlich dem, das man für Brillen benutzte, nur größer. Weitaus größer. Und schwerer. Viel schwerer.
Kitty hätte sicher das Etui ohne zu zögern geöffnet, wenn nicht in diesem Moment von der Straße her das schallende Lachen einer Frau zu hören gewesen wäre.
Sie drehte mit einem Ruck den Kopf dorthin, wo im Licht der Straßenlaternen zwei Menschen eingehakt und im Gleichschritt die Beckergrube hinunter gingen. Die Frau lachte immer noch, während der Mann irgendetwas sagte, und beide erkannte Kitty auf den ersten Blick, vor allem aber war es dieses Lachen, das sich unvergesslich in ihr Gedächtnis eingebrannt hatte.
So lachte nur eine, wusste Kitty, nämlich Dr. Maren Schellhorn. Und der Mann, der sie zum Lachen brachte, war Robert Debus.
Kitty kauerte sich in ihrem Autositz zusammen, hörte auf zu denken, sondern überließ sich stattdessen einem bis dahin nie so gefühlten Schmerz aus Erinnerung und Resignation.
Ihre Augen brannten, ihr Hals schmerzte, aber sie hatte keine Tränen mehr. Leer von allen Empfindungen, legte sie den Kopf zurück und blickte auf die beiden Menschen dort auf dem Bürgersteig, die jetzt im hellen Licht der Straßenbeleuchtung stehen geblieben waren und lebhaft miteinander redeten. Das Lachen war verstummt, jetzt war man ernsthaft. Vielleicht erörterte man die übliche Frage „Zu mir oder zu dir?“, zuckte es kurz durch Kittys Kopf, während ein seltsam taubes, ja, einschläferndes Gefühl sie überkam.
So war es also. Man wollte etwas nicht glauben, doch irgendwann kam man an der Erkenntnis nicht mehr vorbei.
Monatelang hatte sie gehofft und gewartet, dass Robert zu ihr zurück kam und dann alles wieder gut wäre.
Das war nicht geschehen.
Es würde kein Leben mit Robert geben. Auch keine Affäre.
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