Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)
längst fadenscheinig und blank gewetzt war.
„Sie wollten mich sprechen?“ vergewisserte Sarah sich, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte.
„Ach, Mädel, ich habe dir schon hundertmal gesagt, dass du mich in diesen heiligen Hallen duzen darfst“, seufzte Hoffmüller daraufhin.
„Das kann ich aber nicht“, gab sie lakonisch zurück. „Es klappt einfach nicht – hier per Du und sobald wir draußen auf dem Flur sind, wieder per Sie. Das bringt mich durcheinander. Also bleibe ich beim Sie. – Warum bin ich hier?“
Hoffmüller ließ sich in den Chefsessel fallen. Er legte die gefalteten Hände auf die Schreibtischplatte – eine Geste, die Sarah sofort und sehr unangenehm an ihr Gespräch mit Maren Schellhorn erinnerte: Maren hatte in haargenau dieser Haltung so gesessen, ehe sie anfing zu reden…
Ein leises Frösteln lief über Sarahs Rücken, die Wirbelsäule hinunter, während die hellen Härchen auf ihren Armen sich aufrichteten.
„Ich habe dich her gebeten“, begann Hoffmüller indes umständlich, während er sich gleichzeitig bückte und im Papierkorb neben dem Schreibtisch kramte, „weil… weil ich weiß… dass du morgen Geburtstag hast und ich dir gerne dazu gratulieren möchte.“
Sarah sah ihn stumm an. Hoffmüller nutzte diesen Moment, um sich aufzurichten und ihr über den Schreibtisch hinweg einen großen Strauß weißer Rosen zu reichen, den er bis eben im Papierkorb versteckt gehalten hatte. „Vierzig Stück“, fügte er etwas außer Atem hinzu.
Sarah nahm die Rosen, die sie mit beiden Händen festhalten musste, so schwer und umfangreich war das Gebinde. „Wollen Sie zu meinen Geburtstag kommen?“ konnte Hoffmüller sie mit schwacher Stimme hinter dem Strauß fragen hören, woraufhin er abwinkte.
„Danke, nein! Weißt du, das ist wie mit dem Du und dem Sie. Ich kann nicht so ohne weiteres zu deiner Geburtstagsparty gehen, wenn du nicht das übrige Kollegium ebenfalls eingeladen hast.“
„Das habe ich nicht“, bestätigte sie.
„Ich weiß. Wenn ich also nun als Einziger und dann noch als dein Vorgesetzter von dir eingeladen werde und alle anderen nicht, dann sorgt das für Zündstoff bei den Kollegen und wäre dem Betriebsklima nicht förderlich. Davon abgesehen, die Anderen werden dir am Montag nachträglich gratulieren. Da kannst du dann Kaffee und Kuchen spendieren, man wird es dir danken“, schloss der Direktor schmunzelnd.
Sarah, den Rosenstrauß unter den rechten Arm geklemmt, die Umhängetasche über die linke Schulter geworfen und bereit, sich zu verabschieden, lächelte etwas matt.
„Na ja, wir werden sehen… Ich muss nun aber los, mein Kleid aus der Reinigung abholen und noch tausend andere Dinge erledigen.“
Hoffmüllers Blick war nachdenklich geworden. „Ja, geh nur, geh! Und, Sarah…“
„Ja?“ Sie hatte die Tür schon geöffnet, drehte sich ein letztes Mal um.
„Sarah, wenn du bei Gregor vorbei gehst, leg ihm eine von den Rosen auf das Grab, ja, und bestell ihm einen Gruß von mir“, sagte Hoffmüller halblaut.
Sarah wirkte sekundenlang wie bei etwas Verbotenem ertappt. „Woher wissen Sie, dass ich am Friedhof halten werde?“
„Weil ich dich kenne. Weil du das immer tust vor deinem Geburtstag. Ich bewundere das, Sarah.“
„Es gibt ja nicht mehr so viele, die sich an ihn erinnern.“
„Eigentlich gibt es fast niemand mehr. So ist das Leben, Sarah. Ach, wusstest du, dass seine Frau wieder geheiratet hat? Einen Italiener, wie könnte es auch anders sein“, belustigte Hoffmüller sich und quälte sich noch einmal aus seinem Sessel heraus.
Sarah starrte sekundenlang ins Leere.
„Gregor hat sie immer so geliebt“, erinnerte sie sich dann mit leiser Stimme.
Hoffmüller seufzte. Er lehnte sich mit verschränkten Armen gegen das Fensterbrett, während er murmelte: „Er hat auch seinen Sohn geliebt und wurde trotzdem von ihm im Stich gelassen. Ach, lassen wir die alten Geschichten endlich ruhen. – Allerdings, ehe ich es vergesse! Was ich dir schon immerzu sagen wollte, Sarah. Ilka Steffen ist wieder da.“
„Was?“ Sarah war schlagartig hellwach. „Wo?“
„Hier in der Stadt.“
„Wer sagt das?“
„Die Mutter eines Schülers aus der Zehnten hat die Kollegin Steffen vor ein paar Tagen am Bahnhof gesehen, wie sie dutzendweise Gepäck in einem Taxi verstaute. Nein, sag jetzt nichts, es gibt gar keinen Zweifel. Es war eindeutig Ilka.“
Sarah presste für einen Augenblick ihr Gesicht in die weißen Rosen, weil
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