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Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)

Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)

Titel: Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Schley
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Marmorplatte. Gleichzeitig nahm sie die rote Rose, um sie ohne die geringsten Gewissensbisse hinter einen fremden Grabstein zu werfen.
    Wieder zu Gregors Grab zurückgekehrt, blickte sie lange reglos auf seinen Namen und die beiden Jahreszahlen. Doch sie mochte so lange und so intensiv schauen, wie sie wollte – der Mensch dahinter teilte sich ihr nicht mit.
    „Warum“, fragte sie irgendwann halblaut, „warum konnte ich damals nicht geduldiger sein? Nicht warten? Warum musste ich dich so bedrängen, als hätten wir keine Zeit? Warum habe ich immerzu etwas von dir erwartet? Gefordert? Ich war so jung, erst Achtzehn, als ich mich in dich verliebte, ich wusste nichts vom Leben, nichts von dir, aber am allerwenigsten wusste ich von mir. Warum habe ich mir nicht einfach mehr Zeit zugestanden?“
    Du hast immer viel zuviel in ihm gesehen, Sarah, beantwortete sie sich schließlich selbst ihre Fragen.
    Gregor hatte es oft zu ihr gesagt, als er noch lebte.
    Du siehst viel zuviel in mir, Sarah.
    Du siehst, was du sehen willst.
    Alles andere blendest du aus. Wieso?
    Darauf musste sie keine Antwort mehr finden, weil die Kirchuhr in diesem Moment zweimal schlug. Sie erschrak, erinnerte sich an das rote Kleid, das sie aus der Reinigung abholen musste, ebenso die Torten, die sie bestellt hatte, den Champagner, der noch darauf wartete, eingekauft zu werden und… und…
    Ihr helles Haar wehte in der kühlen Brise mit ihrem offenen Trenchcoat um die Wette, als sie in langen Sätzen über den Friedhof zu ihrem Auto rannte.
    Der Satz von den „Schatten der Vergangenheit“ war stupide, blieb vom Sinn her schwammig und diffus, genauso wie das „Böse unter der Sonne“. Besonders die Presse, aber auch in literarischen Texten bediente man sich beider Aussagen immer wieder. Der Leser wusste dann ungefähr, was gemeint war, ohne allerdings weder das Eine noch das Andere genau definieren zu können.
    Als Ilka Steffen irgendwann auf ihrer langen Reise wieder einmal eine Zeitung kaufte, deren Schlagzeile verkündete, dass ein populärer Politiker von den „Schatten seiner Vergangenheit“ eingeholt worden war, da konnte sie nur matt lächeln.
    Was sich in ihrer eigenen Vergangenheit ereignet hatte, hätte sie aus ihrer Sicht keinesfalls als Schatten bezeichnet, die sie immer wieder einholten – gerade so, als hätten sie nur geschlafen und wären plötzlich zu neuem Leben erwacht.
    So war es nie gewesen.
    Egal, was Ilka tat, wohin sie ging, selbst am Ende der Welt würde sie jeden Tag, jede Stunde an der Last dessen tragen, was sie im Rückblick immer als eine Kette tragischer Irrtümer bezeichnete.
    Um nichts anderes kreisten ihre Gedanken, auch als sie, ihre Koffer und Reisetaschen auf einem Gepäckwagen vor sich her schiebend, durch die Halle des Hamburger Hauptbahnhofs schritt, einmal den Kopf leicht nach rechts drehte – und dem Blick von Julian Debus begegnete.
    Für Ilka gab es keine Sekunde lang einen Zweifel daran, dass der junge Mann, den sie sah, Julian war. Sie hatte ihn etwa drei Jahre lang nicht gesehen. In dieser Zeit waren unzählige Gesichter auf Bahnhöfen, in U-Bahnen und auf Flugplätzen an ihr vorüber geglitten, so wie das Meer an einem vorüber glitt, wenn man im Auto saß und auf einer Küstenstraße mit Blick auf das Wasser entlang fuhr. Man erkannte niemals irgendein Detail, sondern sah immer nur eine einzige, riesige graue Masse.
    Ilka war absolut sicher, dass Julian sie auch erkannte. Sie spürte es eher als dass sie es sah und geriet sogar in Versuchung, den jungen Mann anzulächeln.
    Ein Lächeln, für das sie sich wenig später schon schämte, weil es einen nur allzu durchschaubaren Grund hatte: Sie wollte Julian besänftigen, sich selber schützen, eventuell neu erwachenden Zorn von sich abwenden.
    Diese Unsicherheit, gepaart mit einem kindlichen Schutzinstinkt, war ihr ständiger Begleiter seit jenen Ereignissen auf Sylt und drohte immer noch zuzunehmen.
    Wieso hatte sie eigentlich geglaubt, sie brauchte ihrem alten Leben nur den Rücken zuzuwenden und irgendwohin zu gehen, wo sie niemand kannte und wo sie nie jemand begegnen würde, der die Ilka von einst kannte?
    Es war ein weiterer fataler Irrtum gewesen, denn wohin sie auch kam – sie nahm ihre Vergangenheit und vor allem sich selbst überallhin mit.
    So wurde eigentlich alles sogar immer noch schlimmer, fand sie. Es hatte sich alles zum Schlechteren gewendet, es war langsam, aber unaufhaltsam mit ihrem Leben bergab gegangen. Sicherheit,

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