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Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)

Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)

Titel: Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Schley
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sie befürchtete, gleich in Tränen auszubrechen. „Wo war sie denn die ganze Zeit?“ fragte sie schließlich, woraufhin Hoffmüller vage die Schultern hob.
    „Es hieß damals, dass sie an einer deutschen Schule irgendwo im Ausland unterrichtet.“
    „Das ist immerhin mal eine nette Überraschung“, murmelte Sarah, drehte sich dann abrupt um und eilte davon. Fast schon am Ende des Korridors angekommen, winkte sie noch einmal mit dem Rosenstrauß, ohne sich dabei umzudrehen, und Hoffmüller, der ihr von der offenen Tür seines Büros hinterher blickte, schüttelte mit einem kleinen Lächeln den Kopf.
    Vor einsamen Friedhöfen sollte man sich hüten, besonders in einer Region, wo selbst Ende März nach einem langen, eisigen Winter der Frühling noch immer keinen Einzug gehalten hatte.
    Bis auf ein paar Schneeglöckchen und Krokusse, die am Wegrand auf einem, vom harten Frost geschundenen Rasen zaghaft zu blühen begonnen hatten, suchte man weit und breit vergeblich nach Frühlingsboten.
    Es war diesig und feucht, während der Himmel, wenn er sich denn hin und wieder wie ein abgerissener Stofffetzen zeigte, sich fahl und irgendwie zu niedrig und zu eng präsentierte.
    Das drückte auf die Seele, stellte Sarah fest, die langsam den Weg zwischen den Gräbern entlang ging. Vielleicht vermieden deshalb die meisten Menschen grundsätzlich den Gang zum Friedhof.
    Sie blieb schließlich vor einem Grab stehen, auf das lediglich eine schwere rechteckige Marmorplatte hinwies, die man in den Rasen eingelegt hatte, der die Platte ganz allmählich zuzudecken begann. Man hatte nichts weiter als den Namen und zwei Jahreszahlen darauf einmeißeln lassen:
    GREGOR BECKER
1947 – 2009
    Sarah fröstelte und schlug den Kragen ihres Trenchcoats hoch, als eine weitere kalte Brise über den Friedhof fegte. Mit klammen Fingern hielt sie sich an der weißen Rose fest, die sie – wie Hoffmüller ihr aufgetragen hatte – auf die marmorne Platte legen wollte.
    In diesem Moment entdeckte sie eine andere, dunkelrote Rose, die oberhalb von Gregors Namen lag.
    Sarah hielt in der Bewegung inne. Sie blickte auf ihre weiße, dann hinüber zur roten Rose – und schon erwachten in ihr all jene Gefühle, vor denen sie bis zu diesem Augenblick erfolgreich geflohen war.
    Bilder, die sie längst vergessen geglaubt hatte, stiegen in ihr auf. Sie erinnerte sich an ihre allerletzte Begegnung mit Gregor, wie er mitten im Gedränge zwischen den vorbei flutenden Schüler vor ihr stand, nachdem es zunächst fast so ausgesehen hatte, als wollte er vor ihr flüchten.
    Sein Oberhemd war falsch zugeknöpft gewesen, fiel Sarah jetzt ein. Überhaupt hatte er irgendwie vernachlässigt gewirkt. Und ihr wurde erst jetzt bewusst, was sie damals restlos ignoriert hatte – nämlich, dass Gregor alt geworden war.
    Hier, mittags gegen zwei Uhr, an einem Tag Ende März, begriff Sarah so plötzlich, als hätte jemand eine Jalousie geöffnet, dass Gregor gar nicht der starke, gelassene Mann gewesen war, den sie und alle anderen immer in ihm gesehen hatten, sondern einfach nur – ein Mensch.
    Jene letzte Begegnung mit ihm hätte ihr eigentlich die Augen öffnen, den Blick schärfen müssen, sagte Sarah sich und musste einmal heftig schlucken, weil sie sich an ihre jahrelange naive und absolut blinde Verliebtheit erinnerte.
    Ecce homo, war alles, was sie in diesem Moment immer wieder denken konnte.
    Ecce homo.
    Seht, welch´ ein Mensch…
    Es war Gregors Lieblingsthema im Philosophieunterricht gewesen. Ecce homo. Vielleicht hatte er seinen Schülern, die ihn verehrt, ja, teilweise geradezu angebetet hatten, sagen wollen: Seht, ich bin nur ein Mensch.
    Einer, der Sarah nie wirklich einen Blick in sein Leben gestattete.
    Und nun lag da eine fremde Rose auf seinem Grab, die Sarah sofort als Eindringling, Störenfried, Verräterin empfand und ihr deshalb die Ruhe zu rauben drohte, weil sie ihr eine ganz und gar absurde Frage aufdrängte:
    Bedeutete diese rote Rose möglicherweise, dass es eine andere Frau, eine ganz andere Frau, von der sie nichts wusste, in Gregors Leben gegeben hatte?
    Sarah wehrte sich mit aller Macht gegen diesen Gedanken.
    Sie wollte das nicht denken. Nicht einmal ansatzweise. Nicht, wenn es um Gregor ging. So etwas dachte man nicht über einen Toten, tadelte sie sich. Doch gleichzeitig sagte die rote Rose genau das, und das behagte Sarah immer weniger, sodass sie es ganz schnell abschütteln musste.
    Sie ging hin und legte ihre weiße Rose auf die

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