Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)
aussah. Während er am Waschbecken lehnte und sich festhielt, um nicht zu stürzen, verspürte er plötzlich den kindischen Wunsch nach einer Frühlingswiese mit bunten Blumen, so, wie er es früher als Kind gekannt hatte. Der Rasen der kleinen Villa im Stadtpark, die seinen Eltern gehört hatte, war regelmäßig im Frühling mit lila Krokussen übersät gewesen.
Aber das war lange her und er war ja auch schon sehr lange kein Kind mehr…
Beinahe wäre Julian dort am Waschbecken im Stehen eingeschlafen, als ihn die Erinnerung an den Anruf vorhin aufschrecken ließ.
Sarah kam.
Sie war schon unterwegs.
In einer halben Stunde würde sie hier sein.
War es möglich, dass Sarah in Lübeck, das ihm manchmal so schrecklich weit weg vorkam, gefühlt hatte, wie sehr sie von Julian in Hamburg gebraucht wurde?
Oder hatte Julian ihr vielleicht doch jenen Brief geschrieben, den er immerzu im Kopf gehabt und von dem er jetzt nicht wusste, ob er ihn abgeschickt hatte?
Egal.
Sarah kam.
Sie war bereits auf dem Weg.
Sarah war immer da, wenn er sie brauchte.
Und, nein, sie bereute nicht, sich für seinen Vater entschieden zu haben, es tat ihr nicht leid, das hatte sie Julian gegenüber des Öfteren sehr ernst und überzeugend betont und sie überließ es ihm, das zu akzeptieren oder nicht.
Nun war Sarah also auf dem Weg hierher, in das Chaos, in dem Julian hockte und nicht einmal soviel Kraft hatte, wenigstens ein bisschen Ordnung zu schaffen. Sein Kreislauf begann schon zu streiken, als er nur versuchte, einen Stuhl beiseite zu schieben.
Der Wein, gestand er sich beschämt ein.
Man soff eben nicht tagelang ungestraft, wenn man eigentlich nicht daran gewöhnt war…
Es klingelte an der Wohnungstür.
Sarah war da.
Groß, fast so groß wie Julian, schmal, ernst, das helle Haar hochgesteckt, mit besorgtem Blick und ihrem herrlichen Jeanne-Moreau-Mund, der sein Lächeln auf der Strecke zwischen Lübeck und Hamburg allerdings verloren zu haben schien.
Als Julian sie umarmen wollte, wehrte sie ihn auch gleich ab, sondern sah an ihm vorbei in die Wohnung und stellte angewidert fest:
„Mein Gott, Julian, du hast hier ja gehaust wie ein Schwein.“
Julian war nicht beleidigt, im Gegenteil, das war genau der Ton, den er jetzt brauchte. Auf einmal fing er an zu reden, reihte Wort an Wort, Satz an Satz, während Sarah erst einmal Kaffee kochte, um dann den Kampf gegen die Verwahrlosung ringsum aufzunehmen.
Dabei hörte sie dem, was Julian zu sagen hatte, schweigend zu, putzte die Küche und das Bad, sammelte die leeren Weinflaschen ein, bezog das Bett für Julian neu und schob ihn schließlich in die Dusche. Mit dem Rücken gegen die Duschkabine gelehnt, unterbrach sie seinen Redeschwall noch immer nicht, während er erzählte. Von Christoph, den er im Februar bei einer Faschingfete im Audimax kennen gelernt hatte, dass sie sich von Anfang an so gut verstanden hätten, als würden sie sich schon seit Jahrzehnten kennen.
Sarah erfuhr auch, dass Christoph gerade von seiner Freundin verlassen worden war und bot Julian deshalb an, bei ihm zu wohnen, wann immer er nach Hamburg kam.
Das tat Julian dann auch, erst etwas zögerlich, dann öfter. Schließlich so oft, dass er sein Studium in Berlin vernachlässigte und damit auch seine Beziehung zu Jess, weil er fast nur noch in Hamburg war.
Christoph und ihn verband etwas ganz Besonderes, versuchte er Sarah zu erklären.
„Und was war das?“ wollte Sarah lakonisch wissen.
Es stellte sich heraus, dass die beiden jungen Männer seit langem von einer Reise um die Welt träumten. In einem Segelboot, denn beide waren sie begeisterte und routinierte Segler und Christoph hatte sogar das Boot, das sie für die Weltumseglung brauchten, schon gefunden.
„Aber er konnte es sich alleine nicht leisten“, fasste Julian zusammen. „Und da hab´ ich beschlossen, ich werde sein Partner, wir kaufen das Boot zusammen, jeder zahlt die Hälfte und verwirklicht so einen Traum.“
„Gute Idee“, fand Sarah, aber mehr auch nicht. Sie ließ ihn weiter erzählen von seinem neuen Freund Christoph, dem großen Traum, der sie verband und dessen Verwirklichung Stück für Stück näher rückte.
Sarah sagte noch immer nicht viel, doch wenn sie es tat, dann im richtigen Moment und an der richtigen Stelle.
Und als Julians Redestrom ganz allmählich zu versiegen drohte, weil ihm der Enthusiasmus verloren zu gehen drohte und er immer öfter nach Worten suchte, da war es an der Zeit, dass Sarah die Story
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