Liebeslist und Leidenschaft
los? Ist irgendwas mit deinem Vater?“ Er konnte sich nicht vorstellen, dass Charles plötzlich gestorben war. Diese Nachricht wäre sicherlich sogar zu den Hochzeitsgästen durchgedrungen.
„Nein, nicht mit meinem Vater“, erklärte sie seufzend. „Es ist … es geht um meine Mutter.“
„Deine Mutter? Ich dachte, sie wohnt in Australien.“
„Jetzt nicht mehr, wie’s aussieht. Sie ist zurück in unser Familienhaus gezogen. Da scheint plötzlich jeder willkommen zu sein – außer mir natürlich.“
Sie sagte das so unbeteiligt wie möglich, aber er hörte die Bitterkeit in ihrer Stimme.
„Hat sie Kontakt zu dir aufgenommen?“
„Ja, wir haben zusammen zu Mittag gegessen. Eigentlich nichts Besonderes für Mutter und Tochter. Nur dass wir kein normales Mutter-Tochter-Verhältnis haben.“
Als sie sich zu ihm hinwandte, sah er, dass sie geweint hatte. Instinktiv schloss er sie in die Arme. Ihm tat es leid, dass er bei ihrer Rückkehr von dem Treffen nicht für sie da gewesen war. Obwohl sein Vater sich nie näher darüber geäußert hatte, hatte Nate immer vermutet, dass Cynthia hinter den Lügen steckte, die die Freundschaft von Thomas und Charles zerstört hatten. Wenn das stimmte, hatte sie Unglück über viele Menschen gebracht. Und jetzt versuchte sie es abermals – mit Nicole.
Nicole presste ihr Gesicht an seine Brust. „Ich habe immer darunter gelitten, keine Mutter zu haben“, gestand sie ihm mit tränenerstickter Stimme. „Auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte. Ich habe doch bei meinen Freunden gesehen, wie das war. Heile Familie und so. Und jetzt kommt sie an und will mich besser kennenlernen. Nach einem Vierteljahrhundert. Kannst du dir das vorstellen?“
Tröstend strich Nate ihr übers Haar.
„Das Schlimme ist – ich weiß nicht, ob ich ihr glauben soll, ob ich ihr trauen kann. Dabei würde ich ihr so gerne glauben. Jeder möchte doch eine Mutter, die ihn liebt.“
„Ich würde ihr lieber nicht trauen, Nicole.“
Nicole lachte auf, aber es klang nicht amüsiert. „Komisch. Genau das Gleiche hat sie über dich gesagt.“
„Was? Warum?“
„Oh, sie hat was gegen dich. Sie meinte, du wärst wahrscheinlich genauso wie dein Vater. Und übrigens hat sie offenbar auch deine Mutter gekannt, wenn auch nicht sehr gut.“
Es durchrieselte ihn kalt. „Irgendwas stimmt da nicht, Nicole. Plötzlich taucht sie nach so langer Zeit hier auf, gerade jetzt, wo dein Vater so krank ist. Da steckt doch was dahinter. Sie hätte jederzeit mit dir Kontakt aufnehmen können, hat es aber nicht getan. Ich glaube, du solltest dich lieber von ihr fernhalten.“
Nicole wand sich aus seiner Umarmung. „Das ist doch wohl meine Entscheidung, oder?“
Nate spürte, dass er zu weit gegangen war. Aber er wusste trotzdem, dass er recht hatte. Man konnte Cynthia Masters-Wilson einfach nicht trauen. Ihm ging es nur darum, dass Nicole nicht wieder verletzt wurde, aber er wollte auch keinen Streit vom Zaun brechen.
„Natürlich ist es deine Entscheidung“, versicherte er ihr. „Wollen wir trotzdem noch nach Karekare fahren? Zum Strand?“
Nicole zuckte mit den Schultern und nahm einen Schluck Wein. „Weiß nicht. Mir egal.“
„Lass uns fahren. Tut uns beiden gut, mal wieder aus der Stadt zu kommen.“
„Okay“, erwiderte sie, aber es klang wenig begeistert.
Besorgt beobachtete er, wie sie das Weinglas in die Küche brachte und dann ins Schlafzimmer ging. Sie bewegt sich wie in Trance, dachte er, als ob sie mit den Gedanken ganz woanders ist. Irgendwo, wo ich sie nicht erreichen kann.
Auf Raouls Hochzeit heute war ihm etwas klar geworden. Es war eine schöne Feier gewesen, fröhlich, mit vielen Leuten, die er mochte – und dennoch hatte er die Minuten gezählt, voller Sehnsucht, Nicole wiederzusehen. Er war schon lange nicht mehr mit ihr zusammen, um Rache an ihrem Vater zu nehmen. Was vorbei war, war vorbei. Jetzt ging es ihm darum, mit ihr auch zusammenzubleiben.
Während der Fahrt nach Karekare musste Nicole ständig über das Treffen mit ihrer Mutter nachgrübeln. Ganz so wie erhofft war es nicht gelaufen. Cynthia war schon eine! Sich fünfundzwanzig Jahre nicht melden und ihr dann gleich Vorschriften machen wollen! In letzter Zeit wollten ihr alle Vorschriften machen. Und sie ließ sich das auch noch gefallen. Ihr ganzes Leben war durcheinander. Sogar ihre Regel war überfällig, obwohl sie sonst immer pünktlich kam.
Vielleicht bin ich ja doch schwanger, schoss es ihr durch
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