Liebeslüge, Liebesglück? (Julia) (German Edition)
tiefen Ausschnitt und reichte ihr bis zum Knie. Dazu trug sie eine graue Strumpfhose, graue Schuhe mit flachen Absätzen und als einzigen Schmuck eine Hämatit-Kette. Das Haar hatte Marisa sich zu einer geflochtenen Schnecke frisiert, und ihr Make-up war äußerst dezent.
Hatte Athan über ihre recht brave Aufmachung gestaunt? Marisa war sich nicht sicher. Doch er verhielt sich genauso höflich wie sie und machte keine Anstalten, einen Annäherungsversuch zu starten.
Ich bin sehr froh, dass er sich mit mir unterhält, als wäre ich einfach die Frau eines Freundes, redete sich Marisa ein, als sie ins Foyer gingen.
„Ich fand sie insgesamt sehr gut“, beantwortete sie Athans Frage nach der Hollywoodschauspielerin, die sich mit dem Auftritt in diesem Stück als seriöse Theaterdarstellerin etablieren wollte. „Am Anfang habe ich in ihr immer den Star gesehen, aber nach einer Weile nur noch die Figur, die sie spielte.“
„Ich finde es interessant, dass sie ausgerechnet die Rolle der ältesten und unscheinbarsten Schwester übernommen hat“, fand Athan. „In ihren Filmen spielt sie doch immer so glamouröse Frauen!“
„Wahrscheinlich war die Rolle für sie die größte Herausforderung“, erwiderte Marisa.
Als sie das Theater verließen, schlug ihnen kühle Luft entgegen.
„Sie werden doch hoffentlich mit mir zu Abend essen?“, fragte Athan und umfasste ihren Ellenbogen.
Es war keine besitzergreifende oder innige Geste. Er führte sie einfach nur dorthin, wohin er selbst wollte.
Erst wollte sie ablehnen. Andererseits hatte sie Hunger, und was war schon schlimm daran, in ein Restaurant zu gehen? Außerdem wollte sie sich unbedingt über das Stück unterhalten. Und zu Hause war niemand, mit dem sie reden konnte. Wieder einmal wurde ihr schmerzlich bewusst, dass sie niemanden hatte, mit dem sie sprechen konnte, außer Ian.
Das Restaurant, in das Athan Teodarkis sie führte, lag ganz in der Nähe des Theaters. Zu ihrer Erleichterung war es weder sehr romantisch noch sehr intim. Es waren eine ganze Menge anderer Gäste da, und die Beleuchtung war nicht geeignet für ein vertrauliches Tête-à-Tête. Offenbar hatte ihr Begleiter also nicht vor, sie zu verführen.
Ihm schien es nur darum zu gehen, Essen zu bestellen, Wein auszuwählen und sich dann über die Inszenierung zu unterhalten.
Nachdem er den Sommelier mit einem Nicken aufgefordert hatte, ihnen einzuschenken, sagte Athan: „Mir ging es ein wenig auf die Nerven, dass die Schwestern die ganze Zeit nach Moskau reisen wollen, das aber nie in die Tat umsetzen. Am liebsten hätte ich ihnen zugerufen, sie sollten sich doch einfach eine Fahrkarte kaufen!“
Marisa lächelte und entgegnete: „Wenn man das Reisen aber nicht gewohnt ist und immer am selben Ort gelebt hat, kann einem die Großstadt ganz schön Angst machen.“
„Sprechen Sie aus Erfahrung?“
„Ja. Ich bin erst vor Kurzem das erste Mal aus Devon herausgekommen“, gab sie zu. „Es mag in meinem Alter merkwürdig erscheinen, aber ich war vorher noch nie in London.“ Ob ihn dieses Eingeständnis abschrecken würde?
„Und warum sind Sie hergekommen?“ Athan klang sachlich.
Marisa zuckte die Schultern. „Ach, aus den üblichen Gründen. Ich wollte mal die Lichter der Großstadt sehen und so weiter.“
Athan ließ sich von ihrem betont lockeren Tonfall nicht trügen. Was sich wohl dahinter verbarg? War sie nach London gekommen, um sich dort einen wohlhabenden Mann zu angeln – jemanden wie seinen Schwager? Vielleicht wollte Marisa aber auch einfach nicht als naives Mädchen vom Lande gesehen werden. Das hätte nicht zu ihrem Image der eleganten, weltgewandten jungen Frau gepasst.
Dem entsprach allerdings auch nicht die Art und Weise, wie sie sich für diesen Abend zurechtgemacht hatte. Er hätte von einer Frau, die sich von einem verheirateten Mann mit Geldgeschenken überhäufen ließ, kein so dezentes, geradezu braves Outfit erwartet. Etwas rührte sich in Athans Innerem. Er war froh, dass sie es nicht darauf angelegt hatte, besonders weiblich oder verführerisch zu wirken. Wie Marisa ihre natürliche Schönheit praktisch herunterspielte, fand er sehr ansprechend.
Als der erste Gang gebracht wurde, stellte Athan fest, wie viel Spaß es ihm machte, sich mit ihr zu unterhalten. Marisas Ansichten waren klug und gut durchdacht, und sie schien die komplexen Dilemmas der Figuren aus dem Stück zu durchschauen und zu verstehen – sogar die des nichtsnutzigen Bruders.
„Er ist
Weitere Kostenlose Bücher