Liebeslüge, Liebesglück? (Julia) (German Edition)
gewohnt, und außerdem hatte sie das Gefühl, sie habe es verdient, von den Elementen bestraft zu werden.
Ich war so dumm, dachte sie verzweifelt. Wie konnte sie sich nur einem Mann hingeben, dessen Charme und Zuneigung nichts als Fassade waren?
Genau das hatte ihre Mutter auch getan.
Marisa schloss die Augen und wurde vor lauter Verzweiflung von Schluchzern geschüttelt. Diese schmerzliche Erkenntnis war kaum zu ertragen.
Auch ihre Mutter hatte vor langer Zeit einmal naiv darauf gehofft, dass ihre Träume sich erfüllen würden. Doch ihre Hoffnungen bauten auf einem Mann, der ihre Gutgläubigkeit nur ausgenutzt hatte, ohne ihre Gefühle zu erwidern – und der sie dann ohne jeden Skrupel verstoßen hatte.
Genau wie Athan es mit mir gemacht hat, dachte Marisa. Als sie plötzlich von heftiger Panik erfasst wurde, zwang sie sich, ruhig zu bleiben und abzuwarten, bis das Gefühl wieder verschwand. Das passierte ihr seit einigen Tagen immer wieder – jedes Mal, wenn die Erinnerung an das furchtbare letzte Gespräch in ihrem Apartment wieder wach wurde. Die Erinnerung daran, wie Athan ihr kalt und ausdruckslos mitgeteilt hatte, alles zwischen ihnen sei nur Teil eines Plans gewesen, mit dem er das Ziel verfolgt hatte, sie und Ian auseinanderzubringen.
Als der Wind die letzte Regenwolke davonjagte, bahnte sich plötzlich die Sonne ihren Weg durch die regennasse Luft. Ihre schwachen Strahlen wärmten kaum und konnten den trostlosen grauen Tag nur ein wenig aufhellen.
Ganz anders als die heiße, kraftvolle Sonne in der Karibik, die Marisa so intensiv auf den Schultern gespürt und deren Wärme ihren ganzen Körper durchdrungen hatte. Unwillkürlich musste sie daran denken, wie sie und Athan es sich im Liegestuhl bequem gemacht und angeregt geplaudert hatten. Und wie Sonnenlicht durch die Jalousien gedrungen war, wenn sie sich nach dem Mittagessen in die Cabaña zurückgezogen hatten, um sich zu lieben …
Sofort war der tiefe Schmerz wieder da, und Marisa verdrängte ihn mit all der Willenskraft, die sie besaß. Sie bezog sie aus der Scham darüber, dass sie so einem skrupellosen, herzlosen Betrug zum Opfer gefallen war. Denn Athan hatte sie von Anfang an belogen. Nichts von dem, was er zu ihr gesagt und mit ihr getan hatte, war ehrlich oder wahr gewesen.
Marisa stand von der Felsbank auf und ließ noch einmal den Blick umhergleiten. Auf einer Erhebung einige Hundert Meter entfernt sah sie den Umriss einer Steinmauer, die fast vollständig von Heidekraut überwuchert war. Es waren die Überreste eines Dorfes aus der Bronzezeit, mehrere Tausend Jahre alt.
Der Anblick war Marisa so vertraut, dass sie sich nie Gedanken darüber gemacht hatte. Doch jetzt dachte sie an die Menschen, die vor langer Zeit dort gelebt, geliebt und gearbeitet hatten, bis sie gestorben waren. Jedem dieser Menschen war sein Leben so wichtig gewesen wie Marisa ihr eigenes. Und doch waren von ihnen nur noch einige Ruinen geblieben.
Auch ich werde, wenn mein Leben zu Ende geht, keine Spuren hinterlassen, nicht einmal einen Schatten, dachte sie. Und so verletzt und gedemütigt sie sich momentan auch fühlen mochte – bald würde das vorbei sein, und sie würde nichts mehr fühlen. Sicher hatte doch auch irgendwann der Mann, der ihre Mutter so grausam behandelt hatte, diese nicht mehr verletzen können? Das werde ich auch schaffen, dachte Marisa, ich muss einfach.
Langsam ging sie zurück. Die Sonne schien weiter, und wenn sie auch wenig Kraft und Wärme hatte, so war es doch besser als der Regen. Auf der windgeschützten Seite des Heidemoors wehte der Wind weniger unbarmherzig, und ein Hauch von Frühling lag in der Luft. Der Winter ging langsam zu Ende.
Ich brauche nur Zeit, versuchte Marisa sich selbst zu beruhigen. Ja, sie brauchte Zeit, um Athan verblassen zu lassen wie einen schlimmen Albtraum, um ihn loszulassen, wieder nach vorn zu blicken und sich einem Leben zu widmen, das sie sich erst noch aufbauen musste. Wie dieses neue Leben aussehen würde, das konnte sie sich noch nicht vorstellen. Eigentlich hatte sie bei ihrem Aufbruch nach London bereits gedacht, dass nun ein neues Leben anfing. Und nun war sie wieder hier gestrandet und wusste nicht, wohin es gehen sollte.
Aber das würde sie schon noch herausfinden. Und sie würde stark sein – sie musste einfach!
Energisch eilte sie den Weg hinunter und kletterte über den Zaunüberstieg am Ende des Wegs, der an ihrem Cottage vorbei zum Dorf führte. Die Sonne begann zu sinken, und
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